Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

eignen Regenbogen, so an ihr seine eigne Tugend.
Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Wör¬
ter sondern hiessen (ganz gegen die Kantische Schu¬
le) der Zeit-Zwischenraum zwischen ihrem
Nein und ihrem Ja
, oft bloß der Ort-Zwi¬
schenraum
. Ich sagte oben, sie hatte immer
eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend
war. Es lässet sich aber erklären: ihr Körper
und ihre Tugend sind an einem Tag und von ei¬
ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die
Gebrüder Kastor und Pollux -- nun ist der erstere
wie Kastor menschlich und sterblich, und die andre
wie Pollux göttlich und unsterblich -- wie nun je¬
ne mythologische Brüderschaft es pfiffig machte und
Sterblichkeit und Unsterblichkeit gegen einander hal¬
birten, um mit einander in Gesellschaft eine Zeit¬
lang todt und eine Zeitlang lebendig zu seyn: so
macht es ihr Körper und ihre Tugend eben so li¬
stig, beide sterben allezeit mit einander, um nach¬
her mit einander wieder zu leben. -- Das artisti¬
sche Sterben solcher Damen lässet sich noch von ei¬
ner andern Seite anschauen: eine solche Frau kann
über die Stärke und die Proben ihrer Tugend eine
Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;

eignen Regenbogen, ſo an ihr ſeine eigne Tugend.
Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Woͤr¬
ter ſondern hieſſen (ganz gegen die Kantiſche Schu¬
le) der Zeit-Zwiſchenraum zwiſchen ihrem
Nein und ihrem Ja
, oft bloß der Ort-Zwi¬
ſchenraum
. Ich ſagte oben, ſie hatte immer
eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend
war. Es laͤſſet ſich aber erklaͤren: ihr Koͤrper
und ihre Tugend ſind an einem Tag und von ei¬
ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die
Gebruͤder Kaſtor und Pollux — nun iſt der erſtere
wie Kaſtor menſchlich und ſterblich, und die andre
wie Pollux goͤttlich und unſterblich — wie nun je¬
ne mythologiſche Bruͤderſchaft es pfiffig machte und
Sterblichkeit und Unſterblichkeit gegen einander hal¬
birten, um mit einander in Geſellſchaft eine Zeit¬
lang todt und eine Zeitlang lebendig zu ſeyn: ſo
macht es ihr Koͤrper und ihre Tugend eben ſo li¬
ſtig, beide ſterben allezeit mit einander, um nach¬
her mit einander wieder zu leben. — Das artiſti¬
ſche Sterben ſolcher Damen laͤſſet ſich noch von ei¬
ner andern Seite anſchauen: eine ſolche Frau kann
uͤber die Staͤrke und die Proben ihrer Tugend eine
Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0051" n="41"/>
eignen Regenbogen, &#x017F;o an ihr &#x017F;eine eigne Tugend.<lb/>
Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Wo&#x0364;<lb/>
ter &#x017F;ondern hie&#x017F;&#x017F;en (ganz gegen die Kanti&#x017F;che Schu¬<lb/>
le) der <hi rendition="#g">Zeit-Zwi&#x017F;chenraum zwi&#x017F;chen ihrem<lb/>
Nein und ihrem Ja</hi>, oft bloß der <hi rendition="#g">Ort-Zwi¬<lb/>
&#x017F;chenraum</hi>. Ich &#x017F;agte oben, &#x017F;ie hatte immer<lb/>
eine Ohnmacht, wenn der <hi rendition="#g">Montag</hi> ihrer Tugend<lb/>
war. Es la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich aber erkla&#x0364;ren: ihr <hi rendition="#g">Ko&#x0364;rper</hi><lb/>
und ihre <hi rendition="#g">Tugend</hi> &#x017F;ind an einem Tag und von ei¬<lb/>
ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die<lb/>
Gebru&#x0364;der Ka&#x017F;tor und Pollux &#x2014; nun i&#x017F;t der <hi rendition="#g">er&#x017F;tere</hi><lb/>
wie Ka&#x017F;tor men&#x017F;chlich und &#x017F;terblich, und die <hi rendition="#g">andre</hi><lb/>
wie Pollux go&#x0364;ttlich und un&#x017F;terblich &#x2014; wie nun je¬<lb/>
ne mythologi&#x017F;che Bru&#x0364;der&#x017F;chaft es pfiffig machte und<lb/>
Sterblichkeit und Un&#x017F;terblichkeit gegen einander hal¬<lb/>
birten, um mit einander in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eine Zeit¬<lb/>
lang todt und eine Zeitlang lebendig zu &#x017F;eyn: &#x017F;o<lb/>
macht es ihr Ko&#x0364;rper und ihre Tugend eben &#x017F;o li¬<lb/>
&#x017F;tig, beide &#x017F;terben allezeit mit einander, um nach¬<lb/>
her mit einander wieder zu leben. &#x2014; Das arti&#x017F;ti¬<lb/>
&#x017F;che Sterben &#x017F;olcher Damen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich noch von ei¬<lb/>
ner andern Seite an&#x017F;chauen: eine &#x017F;olche Frau kann<lb/>
u&#x0364;ber die Sta&#x0364;rke und die Proben ihrer Tugend eine<lb/><hi rendition="#g">Freude</hi> haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0051] eignen Regenbogen, ſo an ihr ſeine eigne Tugend. Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Woͤr¬ ter ſondern hieſſen (ganz gegen die Kantiſche Schu¬ le) der Zeit-Zwiſchenraum zwiſchen ihrem Nein und ihrem Ja, oft bloß der Ort-Zwi¬ ſchenraum. Ich ſagte oben, ſie hatte immer eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend war. Es laͤſſet ſich aber erklaͤren: ihr Koͤrper und ihre Tugend ſind an einem Tag und von ei¬ ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die Gebruͤder Kaſtor und Pollux — nun iſt der erſtere wie Kaſtor menſchlich und ſterblich, und die andre wie Pollux goͤttlich und unſterblich — wie nun je¬ ne mythologiſche Bruͤderſchaft es pfiffig machte und Sterblichkeit und Unſterblichkeit gegen einander hal¬ birten, um mit einander in Geſellſchaft eine Zeit¬ lang todt und eine Zeitlang lebendig zu ſeyn: ſo macht es ihr Koͤrper und ihre Tugend eben ſo li¬ ſtig, beide ſterben allezeit mit einander, um nach¬ her mit einander wieder zu leben. — Das artiſti¬ ſche Sterben ſolcher Damen laͤſſet ſich noch von ei¬ ner andern Seite anſchauen: eine ſolche Frau kann uͤber die Staͤrke und die Proben ihrer Tugend eine Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/51
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/51>, abgerufen am 22.11.2024.