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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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che auf und treibest sie, mitten in deiner Mitter¬
nacht, in die ähnliche Brust, womit der gute Him¬
mel deine wärmen und beschirmen wollte! . . . Ach
ich schaue über die beschatteten Blumengründe hin
und sage mir, daß hier sechstausend Jahre mit ih¬
ren schönen hohen Menschen vorüber gezogen sind,
die keiner von uns an seinen Busen drücken konnte
-- daß noch viele Jahrtausende über diese Stätte
gehen und darüber himmlische, vielleicht betrübte
Menschen führen werden, die uns nie begegnen,
sondern höchstens unsern Urnen und die wir so gern
lieben würden -- und daß bloß ein Paar arme
Jahrzehende uns einige fliehende Gestalten vorfüh¬
ren, die ihr Auge auf uns wenden und in denen
das verschwisterte Herz für uns ist, nach dem wir
uns sehnen. -- Umfasset diese eilenden Gestalten;
aber bloß aus euren Thränen werdet ihr wissen,
daß ihr seid geliebet worden . . . .

-- Und eben dieses, daß die Hand eines Men¬
schen über so wenige Jahre hinausreicht und daß
sie so wenige gute Hände fassen kann, das muß
ihn entschuldigen, wenn er ein Buch macht: seine
Stimme reicht weiter als seine Hand, sein enger
Kreis der Liebe zerfliesset in weitere Zirkel und

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che auf und treibeſt ſie, mitten in deiner Mitter¬
nacht, in die aͤhnliche Bruſt, womit der gute Him¬
mel deine waͤrmen und beſchirmen wollte! . . . Ach
ich ſchaue uͤber die beſchatteten Blumengruͤnde hin
und ſage mir, daß hier ſechstauſend Jahre mit ih¬
ren ſchoͤnen hohen Menſchen voruͤber gezogen ſind,
die keiner von uns an ſeinen Buſen druͤcken konnte
— daß noch viele Jahrtauſende uͤber dieſe Staͤtte
gehen und daruͤber himmliſche, vielleicht betruͤbte
Menſchen fuͤhren werden, die uns nie begegnen,
ſondern hoͤchſtens unſern Urnen und die wir ſo gern
lieben wuͤrden — und daß bloß ein Paar arme
Jahrzehende uns einige fliehende Geſtalten vorfuͤh¬
ren, die ihr Auge auf uns wenden und in denen
das verſchwiſterte Herz fuͤr uns iſt, nach dem wir
uns ſehnen. — Umfaſſet dieſe eilenden Geſtalten;
aber bloß aus euren Thraͤnen werdet ihr wiſſen,
daß ihr ſeid geliebet worden . . . .

— Und eben dieſes, daß die Hand eines Men¬
ſchen uͤber ſo wenige Jahre hinausreicht und daß
ſie ſo wenige gute Haͤnde faſſen kann, das muß
ihn entſchuldigen, wenn er ein Buch macht: ſeine
Stimme reicht weiter als ſeine Hand, ſein enger
Kreis der Liebe zerflieſſet in weitere Zirkel und

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[451/0461] che auf und treibeſt ſie, mitten in deiner Mitter¬ nacht, in die aͤhnliche Bruſt, womit der gute Him¬ mel deine waͤrmen und beſchirmen wollte! . . . Ach ich ſchaue uͤber die beſchatteten Blumengruͤnde hin und ſage mir, daß hier ſechstauſend Jahre mit ih¬ ren ſchoͤnen hohen Menſchen voruͤber gezogen ſind, die keiner von uns an ſeinen Buſen druͤcken konnte — daß noch viele Jahrtauſende uͤber dieſe Staͤtte gehen und daruͤber himmliſche, vielleicht betruͤbte Menſchen fuͤhren werden, die uns nie begegnen, ſondern hoͤchſtens unſern Urnen und die wir ſo gern lieben wuͤrden — und daß bloß ein Paar arme Jahrzehende uns einige fliehende Geſtalten vorfuͤh¬ ren, die ihr Auge auf uns wenden und in denen das verſchwiſterte Herz fuͤr uns iſt, nach dem wir uns ſehnen. — Umfaſſet dieſe eilenden Geſtalten; aber bloß aus euren Thraͤnen werdet ihr wiſſen, daß ihr ſeid geliebet worden . . . . — Und eben dieſes, daß die Hand eines Men¬ ſchen uͤber ſo wenige Jahre hinausreicht und daß ſie ſo wenige gute Haͤnde faſſen kann, das muß ihn entſchuldigen, wenn er ein Buch macht: ſeine Stimme reicht weiter als ſeine Hand, ſein enger Kreis der Liebe zerflieſſet in weitere Zirkel und F f 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/461>, abgerufen am 24.11.2024.