Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Freudenblumen aufkleben, trotz ihrer Vertrocknung,
in einem Herbario: nicht einmal seine alten Fracks,
Pikeschen und Bratenröcke (die übrigen Kleidungs¬
stücke karakterisiren wenig) sollte er verschenken oder
versteigern, sondern hinhenken sollt' er sie als Hül¬
sen seiner ausgekernten Stunden, als Puppenge¬
häuse der ausgeflognen Freuden, als Gewandfall
oder todte Hand, die der Erinnerung heimfällt von
den gestorbenen Jahren . . . .

-- -- Sobald ich heute am Tage, der so lang
war als dieses Buch, mit dieser Leichenbestattung
fertig war: so gieng ich in die Nacht heraus, die
so kurz ist wie die des Lebens . . . und hier steh' ich
unter dem Himmel und fühl' es wieder wie alle¬
mal, daß jede überstiegne Treppe hienieden sich
zur Staffel einer höhern verkürzt und daß jeder er¬
kletterte Thron zum Fußschemmel eines neuen ein¬
schrumpft. -- Die Menschen bewohnen und bewe¬
gen das große Tretrad des Schicksals und glauben
darin, sie steigen, wenn sie gehen. . . . War¬
um will ich schon wieder ein neues Buch schreiben
und in diesem die Ruhe erwarten, die ich im al¬
ten nicht fand? -- -- Ein buschigter Felsen, der
sich über einen Steinbruch bückt, hält mich hier

mit

Freudenblumen aufkleben, trotz ihrer Vertrocknung,
in einem Herbario: nicht einmal ſeine alten Fracks,
Pikeſchen und Bratenroͤcke (die uͤbrigen Kleidungs¬
ſtuͤcke karakteriſiren wenig) ſollte er verſchenken oder
verſteigern, ſondern hinhenken ſollt' er ſie als Huͤl¬
ſen ſeiner ausgekernten Stunden, als Puppenge¬
haͤuſe der ausgeflognen Freuden, als Gewandfall
oder todte Hand, die der Erinnerung heimfaͤllt von
den geſtorbenen Jahren . . . .

— — Sobald ich heute am Tage, der ſo lang
war als dieſes Buch, mit dieſer Leichenbeſtattung
fertig war: ſo gieng ich in die Nacht heraus, die
ſo kurz iſt wie die des Lebens . . . und hier ſteh' ich
unter dem Himmel und fuͤhl' es wieder wie alle¬
mal, daß jede uͤberſtiegne Treppe hienieden ſich
zur Staffel einer hoͤhern verkuͤrzt und daß jeder er¬
kletterte Thron zum Fußſchemmel eines neuen ein¬
ſchrumpft. — Die Menſchen bewohnen und bewe¬
gen das große Tretrad des Schickſals und glauben
darin, ſie ſteigen, wenn ſie gehen. . . . War¬
um will ich ſchon wieder ein neues Buch ſchreiben
und in dieſem die Ruhe erwarten, die ich im al¬
ten nicht fand? — — Ein buſchigter Felſen, der
ſich uͤber einen Steinbruch buͤckt, haͤlt mich hier

mit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0458" n="448"/>
Freudenblumen aufkleben, trotz ihrer Vertrocknung,<lb/>
in einem Herbario: nicht einmal &#x017F;eine alten Fracks,<lb/>
Pike&#x017F;chen und Bratenro&#x0364;cke (die u&#x0364;brigen Kleidungs¬<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;cke karakteri&#x017F;iren wenig) &#x017F;ollte er ver&#x017F;chenken oder<lb/>
ver&#x017F;teigern, &#x017F;ondern hinhenken &#x017F;ollt' er &#x017F;ie als Hu&#x0364;<lb/>
&#x017F;en &#x017F;einer ausgekernten Stunden, als Puppenge¬<lb/>
ha&#x0364;u&#x017F;e der ausgeflognen Freuden, als Gewandfall<lb/>
oder todte Hand, die der Erinnerung heimfa&#x0364;llt von<lb/>
den ge&#x017F;torbenen Jahren . . . .</p><lb/>
          <p>&#x2014; &#x2014; Sobald ich heute am Tage, der &#x017F;o lang<lb/>
war als die&#x017F;es Buch, mit die&#x017F;er Leichenbe&#x017F;tattung<lb/>
fertig war: &#x017F;o gieng ich in die Nacht heraus, die<lb/>
&#x017F;o kurz i&#x017F;t wie die des Lebens . . . und hier &#x017F;teh' ich<lb/>
unter dem Himmel und fu&#x0364;hl' es wieder wie alle¬<lb/>
mal, daß jede u&#x0364;ber&#x017F;tiegne Treppe hienieden &#x017F;ich<lb/>
zur Staffel einer ho&#x0364;hern verku&#x0364;rzt und daß jeder er¬<lb/><choice><sic>klettterte</sic><corr>kletterte</corr></choice> Thron zum Fuß&#x017F;chemmel eines neuen ein¬<lb/>
&#x017F;chrumpft. &#x2014; Die Men&#x017F;chen bewohnen und bewe¬<lb/>
gen das große Tretrad des Schick&#x017F;als und glauben<lb/>
darin, &#x017F;ie <hi rendition="#g">&#x017F;teigen</hi>, wenn &#x017F;ie <hi rendition="#g">gehen</hi>. . . . War¬<lb/>
um will ich &#x017F;chon wieder ein neues Buch &#x017F;chreiben<lb/>
und in die&#x017F;em die Ruhe erwarten, die ich im al¬<lb/>
ten nicht fand? &#x2014; &#x2014; Ein bu&#x017F;chigter Fel&#x017F;en, der<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber einen Steinbruch bu&#x0364;ckt, ha&#x0364;lt mich hier<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mit<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0458] Freudenblumen aufkleben, trotz ihrer Vertrocknung, in einem Herbario: nicht einmal ſeine alten Fracks, Pikeſchen und Bratenroͤcke (die uͤbrigen Kleidungs¬ ſtuͤcke karakteriſiren wenig) ſollte er verſchenken oder verſteigern, ſondern hinhenken ſollt' er ſie als Huͤl¬ ſen ſeiner ausgekernten Stunden, als Puppenge¬ haͤuſe der ausgeflognen Freuden, als Gewandfall oder todte Hand, die der Erinnerung heimfaͤllt von den geſtorbenen Jahren . . . . — — Sobald ich heute am Tage, der ſo lang war als dieſes Buch, mit dieſer Leichenbeſtattung fertig war: ſo gieng ich in die Nacht heraus, die ſo kurz iſt wie die des Lebens . . . und hier ſteh' ich unter dem Himmel und fuͤhl' es wieder wie alle¬ mal, daß jede uͤberſtiegne Treppe hienieden ſich zur Staffel einer hoͤhern verkuͤrzt und daß jeder er¬ kletterte Thron zum Fußſchemmel eines neuen ein¬ ſchrumpft. — Die Menſchen bewohnen und bewe¬ gen das große Tretrad des Schickſals und glauben darin, ſie ſteigen, wenn ſie gehen. . . . War¬ um will ich ſchon wieder ein neues Buch ſchreiben und in dieſem die Ruhe erwarten, die ich im al¬ ten nicht fand? — — Ein buſchigter Felſen, der ſich uͤber einen Steinbruch buͤckt, haͤlt mich hier mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/458
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/458>, abgerufen am 25.11.2024.