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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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ses wäre zu einer emporgehobnen Rosen-Wolke zu¬
sammen geflossen, die mit ihm durch goldne Morgen¬
röthen und über rauchende Blumenfelder weggezogen
wäre -- die Sonne hätte mit einem weißen Mäd¬
gen-Angesicht ihn angelächelt und angeleuchtet und
wäre endlich in Gestalt eines von Strahlen umflog-
nen Mädgens seiner Wolke zugesunken und er hätte
sich geängstigt, daß er den linken gelähmten Arm
nicht um und an sie bringen können -- -- darüber
wurd' er wach aus seinem letzten oder vielmehr vor¬
letzten Traum: denn auf den langen Traum des Le¬
bens sind die kleinen bunten Träume der Nacht wie
Phantasieblumen gestickt und gezeichnet.

Der Lebens-Strom nach seinem Kopfe wurde
immer schneller und breiter: er glaubte immer wie¬
der, verjüngt zu seyn; den Mond hielt er für die be¬
wölkte Sonne; es kam ihm vor, er sei ein fliegender
Taufengel, unter einem Regenbogen an eine Dotter¬
blumen-Kette aufgehangen, im unendlichen Bogen
auf- und niederwogend, von der vierjährigen Ring¬
geberin über Abgründe zur Sonne aufgeschaukelt. . .
Gegen vier Uhr morgens konnte er uns nicht mehr
sehen, ob gleich die Morgenröthe schon in der Stube
war -- die Augen blickten versteinert vor sich hin

ſes waͤre zu einer emporgehobnen Roſen-Wolke zu¬
ſammen gefloſſen, die mit ihm durch goldne Morgen¬
roͤthen und uͤber rauchende Blumenfelder weggezogen
waͤre — die Sonne haͤtte mit einem weißen Maͤd¬
gen-Angeſicht ihn angelaͤchelt und angeleuchtet und
waͤre endlich in Geſtalt eines von Strahlen umflog-
nen Maͤdgens ſeiner Wolke zugeſunken und er haͤtte
ſich geaͤngſtigt, daß er den linken gelaͤhmten Arm
nicht um und an ſie bringen koͤnnen — — daruͤber
wurd' er wach aus ſeinem letzten oder vielmehr vor¬
letzten Traum: denn auf den langen Traum des Le¬
bens ſind die kleinen bunten Traͤume der Nacht wie
Phantaſieblumen geſtickt und gezeichnet.

Der Lebens-Strom nach ſeinem Kopfe wurde
immer ſchneller und breiter: er glaubte immer wie¬
der, verjuͤngt zu ſeyn; den Mond hielt er fuͤr die be¬
woͤlkte Sonne; es kam ihm vor, er ſei ein fliegender
Taufengel, unter einem Regenbogen an eine Dotter¬
blumen-Kette aufgehangen, im unendlichen Bogen
auf- und niederwogend, von der vierjaͤhrigen Ring¬
geberin uͤber Abgruͤnde zur Sonne aufgeſchaukelt. . .
Gegen vier Uhr morgens konnte er uns nicht mehr
ſehen, ob gleich die Morgenroͤthe ſchon in der Stube
war — die Augen blickten verſteinert vor ſich hin

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[443/0453] ſes waͤre zu einer emporgehobnen Roſen-Wolke zu¬ ſammen gefloſſen, die mit ihm durch goldne Morgen¬ roͤthen und uͤber rauchende Blumenfelder weggezogen waͤre — die Sonne haͤtte mit einem weißen Maͤd¬ gen-Angeſicht ihn angelaͤchelt und angeleuchtet und waͤre endlich in Geſtalt eines von Strahlen umflog- nen Maͤdgens ſeiner Wolke zugeſunken und er haͤtte ſich geaͤngſtigt, daß er den linken gelaͤhmten Arm nicht um und an ſie bringen koͤnnen — — daruͤber wurd' er wach aus ſeinem letzten oder vielmehr vor¬ letzten Traum: denn auf den langen Traum des Le¬ bens ſind die kleinen bunten Traͤume der Nacht wie Phantaſieblumen geſtickt und gezeichnet. Der Lebens-Strom nach ſeinem Kopfe wurde immer ſchneller und breiter: er glaubte immer wie¬ der, verjuͤngt zu ſeyn; den Mond hielt er fuͤr die be¬ woͤlkte Sonne; es kam ihm vor, er ſei ein fliegender Taufengel, unter einem Regenbogen an eine Dotter¬ blumen-Kette aufgehangen, im unendlichen Bogen auf- und niederwogend, von der vierjaͤhrigen Ring¬ geberin uͤber Abgruͤnde zur Sonne aufgeſchaukelt. . . Gegen vier Uhr morgens konnte er uns nicht mehr ſehen, ob gleich die Morgenroͤthe ſchon in der Stube war — die Augen blickten verſteinert vor ſich hin

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/453>, abgerufen am 24.11.2024.