Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.Bette, der Schlaf und der Traum, um von ihm Ich war allein in der Stube -- ich hörte nichts Bette, der Schlaf und der Traum, um von ihm Ich war allein in der Stube — ich hoͤrte nichts <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0451" n="441"/> Bette, der Schlaf und der Traum, um von ihm<lb/> gleichſam Abſchied zu nehmen. Oder bleibt ihr laͤn¬<lb/> ger und ſeid, ihr zwei Menſchenfreunde es vielleicht,<lb/> die ihr den ermordeten Menſchen aus den blutigen<lb/> Haͤnden des Todes holet und auf eueren wiegenden<lb/> Armen durch die kalten unterirdiſchen Hoͤlungen<lb/> muͤtterlich traget ins helle Land hin, wo ihn eine<lb/> neue Morgenſonne und neue Morgenblumen in wa¬<lb/> ches Leben hauchen? —</p><lb/> <p>Ich war allein in der Stube — ich hoͤrte nichts<lb/> als den Athemzug des Kranken und den Schlag mei¬<lb/> ner Uhr, die ſein kurzes Leben weg maß — der gel¬<lb/> be Vollmond hieng tief und groß in Suͤden und be¬<lb/> reifte mit ſeinem Todtenlichte die Maibluͤmgen des<lb/> Mannes und die ſtockende Wanduhr und die gruͤne<lb/> Haube des Kindes — der leiſe Kirſchbaum vor dem<lb/> Fenſter malte auf dem Grund von Mondslicht aus<lb/> Schatten einen bebenden Baumſchlag in die Stube<lb/> — am ſtillen Himmel wurde zuweilen eine fackelnde<lb/> Sternſchnuppe niedergeworfen und ſie vergieng wie<lb/> ein Menſch — es fiel mir bei, die naͤmliche Stube,<lb/> die jezt der ſchwarz ausgeſchlagne Vorſaal des Gra¬<lb/> bes war, wurde morgen vor 43 Jahren am 13. Mai<lb/> vom Kranken bezogen — und an dieſem Tage gien¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [441/0451]
Bette, der Schlaf und der Traum, um von ihm
gleichſam Abſchied zu nehmen. Oder bleibt ihr laͤn¬
ger und ſeid, ihr zwei Menſchenfreunde es vielleicht,
die ihr den ermordeten Menſchen aus den blutigen
Haͤnden des Todes holet und auf eueren wiegenden
Armen durch die kalten unterirdiſchen Hoͤlungen
muͤtterlich traget ins helle Land hin, wo ihn eine
neue Morgenſonne und neue Morgenblumen in wa¬
ches Leben hauchen? —
Ich war allein in der Stube — ich hoͤrte nichts
als den Athemzug des Kranken und den Schlag mei¬
ner Uhr, die ſein kurzes Leben weg maß — der gel¬
be Vollmond hieng tief und groß in Suͤden und be¬
reifte mit ſeinem Todtenlichte die Maibluͤmgen des
Mannes und die ſtockende Wanduhr und die gruͤne
Haube des Kindes — der leiſe Kirſchbaum vor dem
Fenſter malte auf dem Grund von Mondslicht aus
Schatten einen bebenden Baumſchlag in die Stube
— am ſtillen Himmel wurde zuweilen eine fackelnde
Sternſchnuppe niedergeworfen und ſie vergieng wie
ein Menſch — es fiel mir bei, die naͤmliche Stube,
die jezt der ſchwarz ausgeſchlagne Vorſaal des Gra¬
bes war, wurde morgen vor 43 Jahren am 13. Mai
vom Kranken bezogen — und an dieſem Tage gien¬
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/451>, abgerufen am 23.07.2024. |