Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Stehen, ihren Anzug. "Ich nehme sagte Fenk,
erstlich alles aus, und zweitens auch die Physio¬
gnomik: auf diese horchen alle, weil sie alle sie
sogleich gebrauchen können."

Der magische Abend trieb immer mehr Schat¬
ten vor sich voraus; er nahm endlich alle Wesen
auf seinen wiegenden Schooß und legte sie an sich,
um sie ruhig, sanft und stille zu machen. Wir
fünf Insulaner wurdens auch. Wir giengen sämmt¬
lich hinaus auf eine kleine künstliche Anhöhe, um die
Sonne bis zur Treppe hinunter zu begleiten eh sie
über Ozeane nach Amerika hinabschift. Plötzlich er¬
tönten drüben in einer andern Insel fünf Alphörner
und giengen ihre einfachen Töne ziehend auf und ab.
Die Lage wirkt mehr auf die Musik als die Musik
auf die Lage. In unserer Lage -- wo man mit
dem Ohr schon an der Alpenquelle, mit dem Auge
auf der am Abend übergoldeten Gletscherspitze ist
und sich um die Sennenhütte Arkadien und Tempe
und Jugend-Auen denkt, und wo wir diese Phan¬
tasien vor der untergehenden Sonne und nach dem
schönsten Tage fliegen ließen -- da folgt das Herz
einem Alphorn mit größern Schlägen als einem
Konzertsaale voll geputzter Zuhörer. -- O das En¬

Stehen, ihren Anzug. „Ich nehme ſagte Fenk,
erſtlich alles aus, und zweitens auch die Phyſio¬
gnomik: auf dieſe horchen alle, weil ſie alle ſie
ſogleich gebrauchen koͤnnen.“

Der magiſche Abend trieb immer mehr Schat¬
ten vor ſich voraus; er nahm endlich alle Weſen
auf ſeinen wiegenden Schooß und legte ſie an ſich,
um ſie ruhig, ſanft und ſtille zu machen. Wir
fuͤnf Inſulaner wurdens auch. Wir giengen ſaͤmmt¬
lich hinaus auf eine kleine kuͤnſtliche Anhoͤhe, um die
Sonne bis zur Treppe hinunter zu begleiten eh ſie
uͤber Ozeane nach Amerika hinabſchift. Ploͤtzlich er¬
toͤnten druͤben in einer andern Inſel fuͤnf Alphoͤrner
und giengen ihre einfachen Toͤne ziehend auf und ab.
Die Lage wirkt mehr auf die Muſik als die Muſik
auf die Lage. In unſerer Lage — wo man mit
dem Ohr ſchon an der Alpenquelle, mit dem Auge
auf der am Abend uͤbergoldeten Gletſcherſpitze iſt
und ſich um die Sennenhuͤtte Arkadien und Tempe
und Jugend-Auen denkt, und wo wir dieſe Phan¬
taſien vor der untergehenden Sonne und nach dem
ſchoͤnſten Tage fliegen ließen — da folgt das Herz
einem Alphorn mit groͤßern Schlaͤgen als einem
Konzertſaale voll geputzter Zuhoͤrer. — O das En¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0348" n="338"/>
Stehen, ihren Anzug. &#x201E;Ich nehme &#x017F;agte Fenk,<lb/>
er&#x017F;tlich alles aus, und zweitens auch die Phy&#x017F;io¬<lb/>
gnomik: auf die&#x017F;e horchen alle, weil &#x017F;ie alle &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ogleich gebrauchen ko&#x0364;nnen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der magi&#x017F;che Abend trieb immer mehr Schat¬<lb/>
ten vor &#x017F;ich voraus; er nahm endlich alle We&#x017F;en<lb/>
auf &#x017F;einen wiegenden Schooß und legte &#x017F;ie an &#x017F;ich,<lb/>
um &#x017F;ie ruhig, &#x017F;anft und &#x017F;tille zu machen. Wir<lb/>
fu&#x0364;nf In&#x017F;ulaner wurdens auch. Wir giengen &#x017F;a&#x0364;mmt¬<lb/>
lich hinaus auf eine kleine ku&#x0364;n&#x017F;tliche Anho&#x0364;he, um die<lb/>
Sonne bis zur Treppe hinunter zu begleiten eh &#x017F;ie<lb/>
u&#x0364;ber Ozeane nach Amerika hinab&#x017F;chift. Plo&#x0364;tzlich er¬<lb/>
to&#x0364;nten dru&#x0364;ben in einer andern In&#x017F;el fu&#x0364;nf Alpho&#x0364;rner<lb/>
und giengen ihre einfachen To&#x0364;ne ziehend auf und ab.<lb/>
Die Lage wirkt mehr auf die Mu&#x017F;ik als die Mu&#x017F;ik<lb/>
auf die Lage. In un&#x017F;erer Lage &#x2014; wo man mit<lb/>
dem Ohr &#x017F;chon an der Alpenquelle, mit dem Auge<lb/>
auf der am Abend u&#x0364;bergoldeten Glet&#x017F;cher&#x017F;pitze i&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;ich um die Sennenhu&#x0364;tte Arkadien und Tempe<lb/>
und Jugend-Auen denkt, und wo wir die&#x017F;e Phan¬<lb/>
ta&#x017F;ien vor der untergehenden Sonne und nach dem<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Tage fliegen ließen &#x2014; da folgt das Herz<lb/>
einem Alphorn mit gro&#x0364;ßern Schla&#x0364;gen als einem<lb/>
Konzert&#x017F;aale voll geputzter Zuho&#x0364;rer. &#x2014; O das En¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0348] Stehen, ihren Anzug. „Ich nehme ſagte Fenk, erſtlich alles aus, und zweitens auch die Phyſio¬ gnomik: auf dieſe horchen alle, weil ſie alle ſie ſogleich gebrauchen koͤnnen.“ Der magiſche Abend trieb immer mehr Schat¬ ten vor ſich voraus; er nahm endlich alle Weſen auf ſeinen wiegenden Schooß und legte ſie an ſich, um ſie ruhig, ſanft und ſtille zu machen. Wir fuͤnf Inſulaner wurdens auch. Wir giengen ſaͤmmt¬ lich hinaus auf eine kleine kuͤnſtliche Anhoͤhe, um die Sonne bis zur Treppe hinunter zu begleiten eh ſie uͤber Ozeane nach Amerika hinabſchift. Ploͤtzlich er¬ toͤnten druͤben in einer andern Inſel fuͤnf Alphoͤrner und giengen ihre einfachen Toͤne ziehend auf und ab. Die Lage wirkt mehr auf die Muſik als die Muſik auf die Lage. In unſerer Lage — wo man mit dem Ohr ſchon an der Alpenquelle, mit dem Auge auf der am Abend uͤbergoldeten Gletſcherſpitze iſt und ſich um die Sennenhuͤtte Arkadien und Tempe und Jugend-Auen denkt, und wo wir dieſe Phan¬ taſien vor der untergehenden Sonne und nach dem ſchoͤnſten Tage fliegen ließen — da folgt das Herz einem Alphorn mit groͤßern Schlaͤgen als einem Konzertſaale voll geputzter Zuhoͤrer. — O das En¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/348
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/348>, abgerufen am 25.11.2024.