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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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ausgehobene Mondkugel zu seyn -- die Berg- und
Waldspitzen standen nackt im tiefem Blau, so zu
sagen ungepudert von Nebeln -- alle Prospekte wa¬
ren uns näher gerückt und der Dunst vom Glase,
wodurch wir sahen, abgewischt -- die Luft war
nicht schwül, aber sie ruhte auf den Gewürz-Flu¬
ren unbeweglich aus und das Blatt nickte, aber
nicht der Zweig und die hängende Blume wankte
ein wenig, aber bloß unter zwei kämpfenden
Schmetterlingen . . . . Es war der Ruhetag der
Elemente, die Sieste der Natur: ein solcher Tag,
wo schon der Morgen die Natur eines schwärmeri¬
schen Abends hat und wo schon er uns an unsere
Hoffnungen, an unsre Vergangenheit und an un¬
ser Sehnen erinnert, kömmt nicht oft, kömmt
für nicht viele, darf für die wenigen, in deren
schwellendes Herz er leuchtet, nicht oft kommen,
weil er die armen Menschen, die ihm ihre Herzen
wie Blumenblätter aufthun, zu sehr erfreuet, sie
vom kameralistischen Feudalboden, wo man mehr
Blumen mähen als beriechen muß, zu weit ins
magische Arkadien verschlägt. -- Aber ihr Finan¬
ciers und Oekonomen und Pächter, wenn fast alle
Jahrszeiten der Haut und dem Magen dienen:

ausgehobene Mondkugel zu ſeyn — die Berg- und
Waldſpitzen ſtanden nackt im tiefem Blau, ſo zu
ſagen ungepudert von Nebeln — alle Proſpekte wa¬
ren uns naͤher geruͤckt und der Dunſt vom Glaſe,
wodurch wir ſahen, abgewiſcht — die Luft war
nicht ſchwuͤl, aber ſie ruhte auf den Gewuͤrz-Flu¬
ren unbeweglich aus und das Blatt nickte, aber
nicht der Zweig und die haͤngende Blume wankte
ein wenig, aber bloß unter zwei kaͤmpfenden
Schmetterlingen . . . . Es war der Ruhetag der
Elemente, die Sieſte der Natur: ein ſolcher Tag,
wo ſchon der Morgen die Natur eines ſchwaͤrmeri¬
ſchen Abends hat und wo ſchon er uns an unſere
Hoffnungen, an unſre Vergangenheit und an un¬
ſer Sehnen erinnert, koͤmmt nicht oft, koͤmmt
fuͤr nicht viele, darf fuͤr die wenigen, in deren
ſchwellendes Herz er leuchtet, nicht oft kommen,
weil er die armen Menſchen, die ihm ihre Herzen
wie Blumenblaͤtter aufthun, zu ſehr erfreuet, ſie
vom kameraliſtiſchen Feudalboden, wo man mehr
Blumen maͤhen als beriechen muß, zu weit ins
magiſche Arkadien verſchlaͤgt. — Aber ihr Finan¬
ciers und Oekonomen und Paͤchter, wenn faſt alle
Jahrszeiten der Haut und dem Magen dienen:

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[326/0336] ausgehobene Mondkugel zu ſeyn — die Berg- und Waldſpitzen ſtanden nackt im tiefem Blau, ſo zu ſagen ungepudert von Nebeln — alle Proſpekte wa¬ ren uns naͤher geruͤckt und der Dunſt vom Glaſe, wodurch wir ſahen, abgewiſcht — die Luft war nicht ſchwuͤl, aber ſie ruhte auf den Gewuͤrz-Flu¬ ren unbeweglich aus und das Blatt nickte, aber nicht der Zweig und die haͤngende Blume wankte ein wenig, aber bloß unter zwei kaͤmpfenden Schmetterlingen . . . . Es war der Ruhetag der Elemente, die Sieſte der Natur: ein ſolcher Tag, wo ſchon der Morgen die Natur eines ſchwaͤrmeri¬ ſchen Abends hat und wo ſchon er uns an unſere Hoffnungen, an unſre Vergangenheit und an un¬ ſer Sehnen erinnert, koͤmmt nicht oft, koͤmmt fuͤr nicht viele, darf fuͤr die wenigen, in deren ſchwellendes Herz er leuchtet, nicht oft kommen, weil er die armen Menſchen, die ihm ihre Herzen wie Blumenblaͤtter aufthun, zu ſehr erfreuet, ſie vom kameraliſtiſchen Feudalboden, wo man mehr Blumen maͤhen als beriechen muß, zu weit ins magiſche Arkadien verſchlaͤgt. — Aber ihr Finan¬ ciers und Oekonomen und Paͤchter, wenn faſt alle Jahrszeiten der Haut und dem Magen dienen:

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/336>, abgerufen am 22.11.2024.