Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.In der Kirche ließ ich mich auf dem Orgel¬ In der Kirche ließ ich mich auf dem Orgel¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0311" n="301"/> <p>In der Kirche ließ ich mich auf dem Orgel¬<lb/> ſtuhl nieder, um die plumpe Orgel zu kartaͤtſchen<lb/> zum Erſtaunen der meiſten Seelen. Als Guſtav in<lb/> in eine adeliche Loge trat: ſaß in der gegenuͤber¬<lb/> ſtehenden — Beata; denn eine Predigt war ihr ſo<lb/> lieb als einer andern ein Tanz. Guſtav buͤckte ſich<lb/> mit niederfallenden Augen und aufſtroͤmender Roͤ¬<lb/> the vor ihr und war tief geruͤhrt uͤber die blaſſe<lb/> gekraͤnkte Geſtallt, die ſonſt vor ihm gegluͤhet hat¬<lb/> te — ſie wars gleichfalls von der ſeinigen, auf<lb/> der ſie alle traurige Erinnerungen las, die in ih¬<lb/> re oder ſeine Seele geſchrieben waren. Ihre vier<lb/> Augen zogen ſich vom Gegenſtand der Liebe zu dem<lb/> der Aufmerkſamkeit zuruͤck, auf H. Buͤrger aus<lb/> Großenhayn. Er fieng an; ich hatte als zeitiger<lb/> Organiſt vor, gar nicht auf ihn acht zu geben —<lb/> ein Kantor macht ſich aus einer Predigt ſo wenig<lb/> wie ein Mann von Ton: — allein H. Buͤrger<lb/> predigte mir mit den erſten Worten das Choral¬<lb/> buch aus der Hand, indem ich leſen wollte. Er<lb/> trug die Vergebung der menſchlichen Fehler vor —<lb/> wie hart die Menſchen auf der einen, und wie<lb/> zerbrechlich ſie auf der andern Seite waͤren; wie<lb/> ſehr jeder Fehler ſich ohnehin am Menſchen blutig<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0311]
In der Kirche ließ ich mich auf dem Orgel¬
ſtuhl nieder, um die plumpe Orgel zu kartaͤtſchen
zum Erſtaunen der meiſten Seelen. Als Guſtav in
in eine adeliche Loge trat: ſaß in der gegenuͤber¬
ſtehenden — Beata; denn eine Predigt war ihr ſo
lieb als einer andern ein Tanz. Guſtav buͤckte ſich
mit niederfallenden Augen und aufſtroͤmender Roͤ¬
the vor ihr und war tief geruͤhrt uͤber die blaſſe
gekraͤnkte Geſtallt, die ſonſt vor ihm gegluͤhet hat¬
te — ſie wars gleichfalls von der ſeinigen, auf
der ſie alle traurige Erinnerungen las, die in ih¬
re oder ſeine Seele geſchrieben waren. Ihre vier
Augen zogen ſich vom Gegenſtand der Liebe zu dem
der Aufmerkſamkeit zuruͤck, auf H. Buͤrger aus
Großenhayn. Er fieng an; ich hatte als zeitiger
Organiſt vor, gar nicht auf ihn acht zu geben —
ein Kantor macht ſich aus einer Predigt ſo wenig
wie ein Mann von Ton: — allein H. Buͤrger
predigte mir mit den erſten Worten das Choral¬
buch aus der Hand, indem ich leſen wollte. Er
trug die Vergebung der menſchlichen Fehler vor —
wie hart die Menſchen auf der einen, und wie
zerbrechlich ſie auf der andern Seite waͤren; wie
ſehr jeder Fehler ſich ohnehin am Menſchen blutig
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