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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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neuern kann und daß unsre Gehirn-Fibern die Sai¬
ten einer Aeolsharfe sind, die unter dem Anwe¬
hen einer längst vergangnen Stunde zu spielen be¬
ginnen. Der große Weltgeist konnte nicht die gan¬
ze spröde Chaos-Masse zu Blumen für uns umge¬
stalten; aber unserem Geist gab er die Macht, aus
dem zweiten aber biegsamern Chaos, aus dem Ge¬
hirn-Globus nichts als Rosen-Gefilde und Sonnen-
Gestalten und Freuden zu machen. Glücklicherer
Rousseau als du selber wußtest! Dein jetziger er¬
kämpfter Himmel wird sich von dem, den du hier
in deiner Phantasie anlegtest, in nichts als darin
unterscheiden, daß du ihn nicht allein bewohnest . . .

Aber das macht eben den unendlichen Unter¬
schied; und wo hätt' ich ihn süßer fühlen können
als an der Seite meiner Schwester, deren Mienen
der Wiederschein unsers Himmels, deren Seufzer
das Echo unserer verschwisterten Harmonie gewesen.
Sei nur immer so, theure Geliebte, die du vom
Kranken so viel littest als ich von der Krankheit!
Ich weiß ohnehin nicht, was ich öfter von dir zu¬
rücknehme, meinen Tadel oder mein Lob!

Wir langten unter sprachlosen Gedanken in Un¬
terscheerau an und fanden unsern bleichen Reisege¬

neuern kann und daß unſre Gehirn-Fibern die Sai¬
ten einer Aeolsharfe ſind‚ die unter dem Anwe¬
hen einer laͤngſt vergangnen Stunde zu ſpielen be¬
ginnen. Der große Weltgeiſt konnte nicht die gan¬
ze ſproͤde Chaos-Maſſe zu Blumen fuͤr uns umge¬
ſtalten; aber unſerem Geiſt gab er die Macht‚ aus
dem zweiten aber biegſamern Chaos‚ aus dem Ge¬
hirn-Globus nichts als Roſen-Gefilde und Sonnen-
Geſtalten und Freuden zu machen. Gluͤcklicherer
Rouſſeau als du ſelber wußteſt! Dein jetziger er¬
kaͤmpfter Himmel wird ſich von dem‚ den du hier
in deiner Phantaſie anlegteſt, in nichts als darin
unterſcheiden‚ daß du ihn nicht allein bewohneſt . . .

Aber das macht eben den unendlichen Unter¬
ſchied; und wo haͤtt' ich ihn ſuͤßer fuͤhlen koͤnnen
als an der Seite meiner Schweſter, deren Mienen
der Wiederſchein unſers Himmels, deren Seufzer
das Echo unſerer verſchwiſterten Harmonie geweſen.
Sei nur immer ſo, theure Geliebte, die du vom
Kranken ſo viel litteſt als ich von der Krankheit!
Ich weiß ohnehin nicht, was ich oͤfter von dir zu¬
ruͤcknehme, meinen Tadel oder mein Lob!

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[284/0294] neuern kann und daß unſre Gehirn-Fibern die Sai¬ ten einer Aeolsharfe ſind‚ die unter dem Anwe¬ hen einer laͤngſt vergangnen Stunde zu ſpielen be¬ ginnen. Der große Weltgeiſt konnte nicht die gan¬ ze ſproͤde Chaos-Maſſe zu Blumen fuͤr uns umge¬ ſtalten; aber unſerem Geiſt gab er die Macht‚ aus dem zweiten aber biegſamern Chaos‚ aus dem Ge¬ hirn-Globus nichts als Roſen-Gefilde und Sonnen- Geſtalten und Freuden zu machen. Gluͤcklicherer Rouſſeau als du ſelber wußteſt! Dein jetziger er¬ kaͤmpfter Himmel wird ſich von dem‚ den du hier in deiner Phantaſie anlegteſt, in nichts als darin unterſcheiden‚ daß du ihn nicht allein bewohneſt . . . Aber das macht eben den unendlichen Unter¬ ſchied; und wo haͤtt' ich ihn ſuͤßer fuͤhlen koͤnnen als an der Seite meiner Schweſter, deren Mienen der Wiederſchein unſers Himmels, deren Seufzer das Echo unſerer verſchwiſterten Harmonie geweſen. Sei nur immer ſo, theure Geliebte, die du vom Kranken ſo viel litteſt als ich von der Krankheit! Ich weiß ohnehin nicht, was ich oͤfter von dir zu¬ ruͤcknehme, meinen Tadel oder mein Lob! Wir langten unter ſprachloſen Gedanken in Un¬ terſcheerau an und fanden unſern bleichen Reiſege¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/294>, abgerufen am 25.11.2024.