Die Töne des Thurms verströmten in die wei¬ te mondlose Nacht hin, die ein großer mit Ster¬ nen-Blüthen übersäeter Wipfel war. Bist du glücklich oder unglücklich, Wuz, daß du auf dei¬ nem Thurm der weißen Mauer und einem weißen Stein des Auenthaler Gottesackers entgegen stehest und doch nicht daran denkest, wen Mauer und Stein verschließen, denselben, der sonst an dei¬ nem Platze in dieser Stille auch wie du das neue Jahr salutierte, deinen Vater, der wieder eben so ruhig wie du über die verwesenden Ohren des seinigen hinüber bließ? . . . Ruhiger bist du frei¬ lich, der du am neuen Jahre an kein anderes Abnehmen als an das der Nächte denkst; aber lie¬ ber ist mir meine Philippine, die hier neben mir ihr Leben von neuem überlebt und gewiß ernsthaf¬ ter als das erstemal, in deren Brust das Herz nicht bloß Frauenzimmer-Arbeit thut sondern auch zuweilen zum Gefühl anschwillt, wie wenig der Mensch ist, wie viel er wird und wie sehr die Erde eine Kirchhofs-Mauer und der Mensch der verpuf¬ fende Salpeter ist, der an dieser Mauer anschies¬ set! gute weinende Schwester, in dieser Minute frägt dein Bruder nichts darnach, daß du morgen
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Die Toͤne des Thurms verſtroͤmten in die wei¬ te mondloſe Nacht hin, die ein großer mit Ster¬ nen-Bluͤthen uͤberſaͤeter Wipfel war. Biſt du gluͤcklich oder ungluͤcklich, Wuz, daß du auf dei¬ nem Thurm der weißen Mauer und einem weißen Stein des Auenthaler Gottesackers entgegen ſteheſt und doch nicht daran denkeſt, wen Mauer und Stein verſchließen, denſelben, der ſonſt an dei¬ nem Platze in dieſer Stille auch wie du das neue Jahr ſalutierte, deinen Vater, der wieder eben ſo ruhig wie du uͤber die verweſenden Ohren des ſeinigen hinuͤber bließ? . . . Ruhiger biſt du frei¬ lich, der du am neuen Jahre an kein anderes Abnehmen als an das der Naͤchte denkſt; aber lie¬ ber iſt mir meine Philippine, die hier neben mir ihr Leben von neuem uͤberlebt und gewiß ernſthaf¬ ter als das erſtemal, in deren Bruſt das Herz nicht bloß Frauenzimmer-Arbeit thut ſondern auch zuweilen zum Gefuͤhl anſchwillt, wie wenig der Menſch iſt, wie viel er wird und wie ſehr die Erde eine Kirchhofs-Mauer und der Menſch der verpuf¬ fende Salpeter iſt, der an dieſer Mauer anſchieſ¬ ſet! gute weinende Schweſter, in dieſer Minute fraͤgt dein Bruder nichts darnach, daß du morgen
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Die Toͤne des Thurms verſtroͤmten in die wei¬
te mondloſe Nacht hin, die ein großer mit Ster¬
nen-Bluͤthen uͤberſaͤeter Wipfel war. Biſt du
gluͤcklich oder ungluͤcklich, Wuz, daß du auf dei¬
nem Thurm der weißen Mauer und einem weißen
Stein des Auenthaler Gottesackers entgegen ſteheſt
und doch nicht daran denkeſt, wen Mauer und
Stein verſchließen, denſelben, der ſonſt an dei¬
nem Platze in dieſer Stille auch wie du das neue
Jahr ſalutierte, deinen Vater, der wieder eben
ſo ruhig wie du uͤber die verweſenden Ohren des
ſeinigen hinuͤber bließ? . . . Ruhiger biſt du frei¬
lich, der du am neuen Jahre an kein anderes
Abnehmen als an das der Naͤchte denkſt; aber lie¬
ber iſt mir meine Philippine, die hier neben mir
ihr Leben von neuem uͤberlebt und gewiß ernſthaf¬
ter als das erſtemal, in deren Bruſt das Herz
nicht bloß Frauenzimmer-Arbeit thut ſondern auch
zuweilen zum Gefuͤhl anſchwillt, wie wenig der
Menſch iſt, wie viel er wird und wie ſehr die Erde
eine Kirchhofs-Mauer und der Menſch der verpuf¬
fende Salpeter iſt, der an dieſer Mauer anſchieſ¬
ſet! gute weinende Schweſter, in dieſer Minute
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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