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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Dieses Verrechnen wird aber durch ihr weite¬
res Betragen ganz unwahrscheinlich. Seine Verle¬
genheit gebar ihre, sie bedauerte ihre Voreiligkeit,
ein Geschwisterpaar für glücklich und liebend geprie¬
sen zu haben, das sich meide und ungern von sei¬
nen Verhältnissen spreche; sie verbarg mit ihren
Mienen ihre Absicht nicht, das Gespräch abzulen¬
ken, sondern zeigte sie mit Fleiß; aber zu ihrem
Kummer, keinen Bruder zu haben, gesellete sich
der Kummer, daß Gustav zwar eine Schwester ha¬
be aber nicht liebe und sie drückte ihre Sympathie,
mit dem ähnlichen Unglück, auf ihrer Laute im¬
mer schöner und leiser aus. Gustavs getäuschte
Seele, auf der noch das heutige Fest mit seinem
Glanze stand, überzogen die heftigsten und unähn¬
lichsten Wogen -- Mißtrauen kam nie in sein Herz,
ob er gleich in seinem Kopfe genug davon zu ha¬
ben meinte -- jetzt hatt' er die Wahl zwischen dem
Throne und dem Grabe seiner heutigen Freude.

Denn starke Seelen kennen zwischen Himmel
und Hölle nichts -- kein Fegefeuer keinen lim¬
bus infantum
.

Die Residentin entschied sein Schwanken. Sie
nahm sein Mienen-Chaos (-- oder schiens, weil

Dieſes Verrechnen wird aber durch ihr weite¬
res Betragen ganz unwahrſcheinlich. Seine Verle¬
genheit gebar ihre, ſie bedauerte ihre Voreiligkeit,
ein Geſchwiſterpaar fuͤr gluͤcklich und liebend geprie¬
ſen zu haben, das ſich meide und ungern von ſei¬
nen Verhaͤltniſſen ſpreche; ſie verbarg mit ihren
Mienen ihre Abſicht nicht, das Geſpraͤch abzulen¬
ken, ſondern zeigte ſie mit Fleiß; aber zu ihrem
Kummer, keinen Bruder zu haben, geſellete ſich
der Kummer, daß Guſtav zwar eine Schweſter ha¬
be aber nicht liebe und ſie druͤckte ihre Sympathie,
mit dem aͤhnlichen Ungluͤck, auf ihrer Laute im¬
mer ſchoͤner und leiſer aus. Guſtavs getaͤuſchte
Seele, auf der noch das heutige Feſt mit ſeinem
Glanze ſtand, uͤberzogen die heftigſten und unaͤhn¬
lichſten Wogen — Mißtrauen kam nie in ſein Herz,
ob er gleich in ſeinem Kopfe genug davon zu ha¬
ben meinte — jetzt hatt' er die Wahl zwiſchen dem
Throne und dem Grabe ſeiner heutigen Freude.

Denn ſtarke Seelen kennen zwiſchen Himmel
und Hoͤlle nichts — kein Fegefeuer keinen lim¬
bus infantum
.

Die Reſidentin entſchied ſein Schwanken. Sie
nahm ſein Mienen-Chaos (— oder ſchiens, weil

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[222/0232] Dieſes Verrechnen wird aber durch ihr weite¬ res Betragen ganz unwahrſcheinlich. Seine Verle¬ genheit gebar ihre, ſie bedauerte ihre Voreiligkeit, ein Geſchwiſterpaar fuͤr gluͤcklich und liebend geprie¬ ſen zu haben, das ſich meide und ungern von ſei¬ nen Verhaͤltniſſen ſpreche; ſie verbarg mit ihren Mienen ihre Abſicht nicht, das Geſpraͤch abzulen¬ ken, ſondern zeigte ſie mit Fleiß; aber zu ihrem Kummer, keinen Bruder zu haben, geſellete ſich der Kummer, daß Guſtav zwar eine Schweſter ha¬ be aber nicht liebe und ſie druͤckte ihre Sympathie, mit dem aͤhnlichen Ungluͤck, auf ihrer Laute im¬ mer ſchoͤner und leiſer aus. Guſtavs getaͤuſchte Seele, auf der noch das heutige Feſt mit ſeinem Glanze ſtand, uͤberzogen die heftigſten und unaͤhn¬ lichſten Wogen — Mißtrauen kam nie in ſein Herz, ob er gleich in ſeinem Kopfe genug davon zu ha¬ ben meinte — jetzt hatt' er die Wahl zwiſchen dem Throne und dem Grabe ſeiner heutigen Freude. Denn ſtarke Seelen kennen zwiſchen Himmel und Hoͤlle nichts — kein Fegefeuer keinen lim¬ bus infantum. Die Reſidentin entſchied ſein Schwanken. Sie nahm ſein Mienen-Chaos (— oder ſchiens, weil

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/232>, abgerufen am 25.11.2024.