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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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man hinterbrachte mir alles: die gute Marie hat¬
te zu viele Empfindung, um sie zu zeigen; sie
fühlte, daß sie die Wiederholung ihres Schicksals
dramatisiere und sie besaß zu viele von den guten
Grundzügen des weiblichen Karakters, um sie vor
so vielen Augen zu entblößen. Ihre beste Rolle
spielte sie also innerlich. Henri spielte außer der
innerlichen auch die äußerliche gut, aus der näm¬
lichen Ursache. Außer der Musik isolierte und hob
ihn gerade die Menge, die ihn umsaß, aus der
Menge; und das Feierliche gab seinen innern Wel¬
len die Stärke und Höhe, um die äußern zu über¬
wältigen. Der Brief, den er überreichen wollte,
verwirrte seine Rolle mit seiner Geschichte, die ich
schreibe; und das falsche Lob, das die Ministerin
seiner neulichen Proberolle aus eben der unüber¬
zeugten Affektation gegeben hatte, woraus sie die
ihrige überspannte, half ihm wahres erndten. --
Der blödeste Mensch ist wenn viel Phantasie unter
seinen Thaten glimmt, der Herzhafteste wenn sie
emporlodert. --

Es wäre lächerlich, wenn mein Lob von der
Wärme seines Spiels bis zur Feinheit desselben
gienge; aber die Zuschauer vergaben ihm gern,

2. Theil. D

man hinterbrachte mir alles: die gute Marie hat¬
te zu viele Empfindung, um ſie zu zeigen; ſie
fuͤhlte, daß ſie die Wiederholung ihres Schickſals
dramatiſiere und ſie beſaß zu viele von den guten
Grundzuͤgen des weiblichen Karakters, um ſie vor
ſo vielen Augen zu entbloͤßen. Ihre beſte Rolle
ſpielte ſie alſo innerlich. Henri ſpielte außer der
innerlichen auch die aͤußerliche gut, aus der naͤm¬
lichen Urſache. Außer der Muſik iſolierte und hob
ihn gerade die Menge, die ihn umſaß, aus der
Menge; und das Feierliche gab ſeinen innern Wel¬
len die Staͤrke und Hoͤhe, um die aͤußern zu uͤber¬
waͤltigen. Der Brief, den er uͤberreichen wollte,
verwirrte ſeine Rolle mit ſeiner Geſchichte, die ich
ſchreibe; und das falſche Lob, das die Miniſterin
ſeiner neulichen Proberolle aus eben der unuͤber¬
zeugten Affektation gegeben hatte, woraus ſie die
ihrige uͤberſpannte, half ihm wahres erndten. —
Der bloͤdeſte Menſch iſt wenn viel Phantaſie unter
ſeinen Thaten glimmt, der Herzhafteſte wenn ſie
emporlodert. —

Es waͤre laͤcherlich, wenn mein Lob von der
Waͤrme ſeines Spiels bis zur Feinheit deſſelben
gienge; aber die Zuſchauer vergaben ihm gern,

2. Theil. D
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[209/0219] man hinterbrachte mir alles: die gute Marie hat¬ te zu viele Empfindung, um ſie zu zeigen; ſie fuͤhlte, daß ſie die Wiederholung ihres Schickſals dramatiſiere und ſie beſaß zu viele von den guten Grundzuͤgen des weiblichen Karakters, um ſie vor ſo vielen Augen zu entbloͤßen. Ihre beſte Rolle ſpielte ſie alſo innerlich. Henri ſpielte außer der innerlichen auch die aͤußerliche gut, aus der naͤm¬ lichen Urſache. Außer der Muſik iſolierte und hob ihn gerade die Menge, die ihn umſaß, aus der Menge; und das Feierliche gab ſeinen innern Wel¬ len die Staͤrke und Hoͤhe, um die aͤußern zu uͤber¬ waͤltigen. Der Brief, den er uͤberreichen wollte, verwirrte ſeine Rolle mit ſeiner Geſchichte, die ich ſchreibe; und das falſche Lob, das die Miniſterin ſeiner neulichen Proberolle aus eben der unuͤber¬ zeugten Affektation gegeben hatte, woraus ſie die ihrige uͤberſpannte, half ihm wahres erndten. — Der bloͤdeſte Menſch iſt wenn viel Phantaſie unter ſeinen Thaten glimmt, der Herzhafteſte wenn ſie emporlodert. — Es waͤre laͤcherlich, wenn mein Lob von der Waͤrme ſeines Spiels bis zur Feinheit deſſelben gienge; aber die Zuſchauer vergaben ihm gern, 2. Theil. D

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/219>, abgerufen am 24.11.2024.