Man erlaube mir, eine scharfsinnige Bemer¬ kung zu machen. Der Unterschied zwischen Love¬ lace und dem Chevalier ist der moralische Un¬ terschied zwischen den Nationen und Jahrzehenden von beiden. Der Chevalier ist mit einer solchen philosophischen Kälte ein Teufel, daß er bloß un¬ ter die Klopstockischen Teufel gehört, die nie zu bekehren sind. Lovelace hingegen ist ein ganz an¬ derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch einen Staats- oder Ehe-Posten halb zu bessern wä¬ re. Sogar dann wo seine Unerbittlichkeit gegen die bittende, kämpfende, weinende, knieende Unschuld ihn mehr den Modellen aus der Hölle zu nähern scheint: mildert er seine gleissende Schwär¬ ze durch einen Kunstgrif, der seinem Gewissen ei¬ nige und dem Genie des Dichters die gröste Ehre macht und welcher der ist, -- daß er, um seine Unerbittlichkeit zu beschönigen, den wirklichen Ge¬ genstand des Mitleidens, die knieende etc. Klarisse, für ein theatralisches, malerisches Kunstwerk an¬ sieht und um nicht gerührt zu werden, nur die Schönheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thränen, nur die mahlerische, nicht die jammernde Stellung bemerken will. Auf diesem Wege kann man sich
Man erlaube mir, eine ſcharfſinnige Bemer¬ kung zu machen. Der Unterſchied zwiſchen Love¬ lace und dem Chevalier iſt der moraliſche Un¬ terſchied zwiſchen den Nationen und Jahrzehenden von beiden. Der Chevalier iſt mit einer ſolchen philoſophiſchen Kaͤlte ein Teufel, daß er bloß un¬ ter die Klopſtockiſchen Teufel gehoͤrt, die nie zu bekehren ſind. Lovelace hingegen iſt ein ganz an¬ derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch einen Staats- oder Ehe-Poſten halb zu beſſern waͤ¬ re. Sogar dann wo ſeine Unerbittlichkeit gegen die bittende, kaͤmpfende, weinende, knieende Unſchuld ihn mehr den Modellen aus der Hoͤlle zu naͤhern ſcheint: mildert er ſeine gleiſſende Schwaͤr¬ ze durch einen Kunſtgrif, der ſeinem Gewiſſen ei¬ nige und dem Genie des Dichters die groͤſte Ehre macht und welcher der iſt, — daß er, um ſeine Unerbittlichkeit zu beſchoͤnigen, den wirklichen Ge¬ genſtand des Mitleidens, die knieende ꝛc. Klariſſe, fuͤr ein theatraliſches, maleriſches Kunſtwerk an¬ ſieht und um nicht geruͤhrt zu werden, nur die Schoͤnheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thraͤnen, nur die mahleriſche, nicht die jammernde Stellung bemerken will. Auf dieſem Wege kann man ſich
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Man erlaube mir, eine ſcharfſinnige Bemer¬
kung zu machen. Der Unterſchied zwiſchen Love¬
lace und dem Chevalier iſt der moraliſche Un¬
terſchied zwiſchen den Nationen und Jahrzehenden
von beiden. Der Chevalier iſt mit einer ſolchen
philoſophiſchen Kaͤlte ein Teufel, daß er bloß un¬
ter die Klopſtockiſchen Teufel gehoͤrt, die nie zu
bekehren ſind. Lovelace hingegen iſt ein ganz an¬
derer Mann, bloß ein eitler Alzibiades, der durch
einen Staats- oder Ehe-Poſten halb zu beſſern waͤ¬
re. Sogar dann wo ſeine Unerbittlichkeit gegen
die bittende, kaͤmpfende, weinende, knieende
Unſchuld ihn mehr den Modellen aus der Hoͤlle zu
naͤhern ſcheint: mildert er ſeine gleiſſende Schwaͤr¬
ze durch einen Kunſtgrif, der ſeinem Gewiſſen ei¬
nige und dem Genie des Dichters die groͤſte Ehre
macht und welcher der iſt, — daß er, um ſeine
Unerbittlichkeit zu beſchoͤnigen, den wirklichen Ge¬
genſtand des Mitleidens, die knieende ꝛc. Klariſſe,
fuͤr ein theatraliſches, maleriſches Kunſtwerk an¬
ſieht und um nicht geruͤhrt zu werden, nur die
Schoͤnheit, nicht die Bitterkeit ihrer Thraͤnen,
nur die mahleriſche, nicht die jammernde Stellung
bemerken will. Auf dieſem Wege kann man ſich
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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