genialischen Menschen sprach: o was sind die Stun¬ den der homogensten Lektüre, selbst die Stunden der einsamen Emporhebung gegen eine Stunde, wo eine große Seele lebendig auf dich wirkt und durch ihre Gegenwart deine Seele und deine Idea¬ le verdoppelt und deine Gedanken verkörpert? --
Gustav nahm sich vor, sich aus dem Schlosse zu Ottomar zu entfernen, um es zu vergessen, wer noch weiter drinnen fehle. Es war ein stum¬ mer ausgewölkter Abend, ein Schatte nicht des schon weit weggezognen Sommers sondern des Nach¬ sommers als Gustav aufbrach, nachdem er vergeb¬ lich auf die Rückkehr und Gesellschaft des -- Dok¬ tors gewartet hatte. In der leeren Luft, durch die keine gefiederte Töne, keine klopfende Herzen mehr flogen, zeigte sich nichts Lebendiges als die ewige Sonne, die kein Erdenherbst bleicht und fället und die ewig offen unsern Erdball immerfort ansieht, indeß unter ihr tausend Augen sich öfnen und tau¬ send sich schliessen. An einem solchen Abend springt der Verband von alten Wunden auf, die wir in uns tra¬ gen. Gustav kam still im Dorfe an; am Eingange des Gartens, der das Ottomarsche Schloß halb umlief, stand ein Knabe, der die erhabene Melo¬
genialiſchen Menſchen ſprach: o was ſind die Stun¬ den der homogenſten Lektuͤre, ſelbſt die Stunden der einſamen Emporhebung gegen eine Stunde, wo eine große Seele lebendig auf dich wirkt und durch ihre Gegenwart deine Seele und deine Idea¬ le verdoppelt und deine Gedanken verkoͤrpert? —
Guſtav nahm ſich vor, ſich aus dem Schloſſe zu Ottomar zu entfernen, um es zu vergeſſen, wer noch weiter drinnen fehle. Es war ein ſtum¬ mer ausgewoͤlkter Abend, ein Schatte nicht des ſchon weit weggezognen Sommers ſondern des Nach¬ ſommers als Guſtav aufbrach, nachdem er vergeb¬ lich auf die Ruͤckkehr und Geſellſchaft des — Dok¬ tors gewartet hatte. In der leeren Luft, durch die keine gefiederte Toͤne, keine klopfende Herzen mehr flogen, zeigte ſich nichts Lebendiges als die ewige Sonne, die kein Erdenherbſt bleicht und faͤllet und die ewig offen unſern Erdball immerfort anſieht, indeß unter ihr tauſend Augen ſich oͤfnen und tau¬ ſend ſich ſchlieſſen. An einem ſolchen Abend ſpringt der Verband von alten Wunden auf, die wir in uns tra¬ gen. Guſtav kam ſtill im Dorfe an; am Eingange des Gartens, der das Ottomarſche Schloß halb umlief, ſtand ein Knabe, der die erhabene Melo¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0176"n="166"/>
genialiſchen Menſchen ſprach: o was ſind die Stun¬<lb/>
den der homogenſten Lektuͤre, ſelbſt die Stunden<lb/>
der einſamen Emporhebung gegen eine Stunde,<lb/>
wo eine große Seele lebendig auf dich wirkt und<lb/>
durch ihre Gegenwart deine Seele und deine Idea¬<lb/>
le verdoppelt und deine Gedanken verkoͤrpert? —</p><lb/><p>Guſtav nahm ſich vor, ſich aus dem Schloſſe<lb/>
zu Ottomar zu entfernen, um es zu vergeſſen,<lb/>
wer noch weiter drinnen fehle. Es war ein ſtum¬<lb/>
mer ausgewoͤlkter Abend, ein Schatte nicht des<lb/>ſchon weit weggezognen Sommers ſondern des Nach¬<lb/>ſommers als Guſtav aufbrach, nachdem er vergeb¬<lb/>
lich auf die Ruͤckkehr und Geſellſchaft des — Dok¬<lb/>
tors gewartet hatte. In der leeren Luft, durch die<lb/>
keine gefiederte Toͤne, keine klopfende Herzen mehr<lb/>
flogen, zeigte ſich nichts Lebendiges als die ewige<lb/>
Sonne, die kein Erdenherbſt bleicht und faͤllet und<lb/>
die ewig offen unſern Erdball immerfort anſieht,<lb/>
indeß unter ihr tauſend Augen ſich oͤfnen und tau¬<lb/>ſend ſich ſchlieſſen. An einem ſolchen Abend ſpringt<lb/>
der Verband von alten Wunden auf, die wir in uns tra¬<lb/>
gen. Guſtav kam ſtill im Dorfe an; am Eingange<lb/>
des Gartens, der das Ottomarſche Schloß halb<lb/>
umlief, ſtand ein Knabe, der die erhabene Melo¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[166/0176]
genialiſchen Menſchen ſprach: o was ſind die Stun¬
den der homogenſten Lektuͤre, ſelbſt die Stunden
der einſamen Emporhebung gegen eine Stunde,
wo eine große Seele lebendig auf dich wirkt und
durch ihre Gegenwart deine Seele und deine Idea¬
le verdoppelt und deine Gedanken verkoͤrpert? —
Guſtav nahm ſich vor, ſich aus dem Schloſſe
zu Ottomar zu entfernen, um es zu vergeſſen,
wer noch weiter drinnen fehle. Es war ein ſtum¬
mer ausgewoͤlkter Abend, ein Schatte nicht des
ſchon weit weggezognen Sommers ſondern des Nach¬
ſommers als Guſtav aufbrach, nachdem er vergeb¬
lich auf die Ruͤckkehr und Geſellſchaft des — Dok¬
tors gewartet hatte. In der leeren Luft, durch die
keine gefiederte Toͤne, keine klopfende Herzen mehr
flogen, zeigte ſich nichts Lebendiges als die ewige
Sonne, die kein Erdenherbſt bleicht und faͤllet und
die ewig offen unſern Erdball immerfort anſieht,
indeß unter ihr tauſend Augen ſich oͤfnen und tau¬
ſend ſich ſchlieſſen. An einem ſolchen Abend ſpringt
der Verband von alten Wunden auf, die wir in uns tra¬
gen. Guſtav kam ſtill im Dorfe an; am Eingange
des Gartens, der das Ottomarſche Schloß halb
umlief, ſtand ein Knabe, der die erhabene Melo¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/176>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.