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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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die des Okzidents abmalten und abstraften: so war
in seinen Erzählungen der Süden der Lehnträger und
Pasquino des Nordens. Die sanfte Menschen-Dul¬
dung, die er sich in seinem letzten Briefe vorgesetzt,
hielt er nicht länger als bis er ihn gestipt und gesie¬
gelt hatte -- oder so lang' er spatziren gieng -- oder
während der sanften Nerven-Herabschraubung nach
einem Weinrausch. Auch war ihm wenig daran ge¬
legen, von denen geachtet zu werden, die er selber
nicht achtete: mitten unter großen philosophischen,
republikanischen Ideen oder Idealen wurden ihm die
Kleinigkeiten der Gegenwart unsichtbar und verächt¬
lich, jetzt zumal wo die künftige Welt oder die künf¬
tigen Welten die dünne verfinsterte, auf der er nach
jenen hinsah, wie man durch den geschwärzten Tu¬
bus keinen Gegenstand erblickt als die Sonne. So
brachte er z. B. fünf groteske Minuten bei der Resi¬
dentin damit zu, daß er -- da den eigentlichen Kör¬
per der Seele nur Gehirn und Rückenmark und Ner¬
ven ausmachen -- den vernünftigsten Hofdamen und
den schönsten Hofherrn die Haut abschund in Gedan¬
ken, ihnen ferner die Knochen herauszog und das we¬
nige Fleisch und Gedärm was sie umlag wegdachte,
bis nichts mehr auf der Ottomane saß als ein Mark¬

die des Okzidents abmalten und abſtraften: ſo war
in ſeinen Erzaͤhlungen der Suͤden der Lehntraͤger und
Paſquino des Nordens. Die ſanfte Menſchen-Dul¬
dung, die er ſich in ſeinem letzten Briefe vorgeſetzt,
hielt er nicht laͤnger als bis er ihn geſtipt und geſie¬
gelt hatte — oder ſo lang' er ſpatziren gieng — oder
waͤhrend der ſanften Nerven-Herabſchraubung nach
einem Weinrauſch. Auch war ihm wenig daran ge¬
legen, von denen geachtet zu werden, die er ſelber
nicht achtete: mitten unter großen philoſophiſchen,
republikaniſchen Ideen oder Idealen wurden ihm die
Kleinigkeiten der Gegenwart unſichtbar und veraͤcht¬
lich, jetzt zumal wo die kuͤnftige Welt oder die kuͤnf¬
tigen Welten die duͤnne verfinſterte, auf der er nach
jenen hinſah, wie man durch den geſchwaͤrzten Tu¬
bus keinen Gegenſtand erblickt als die Sonne. So
brachte er z. B. fuͤnf groteſke Minuten bei der Reſi¬
dentin damit zu, daß er — da den eigentlichen Koͤr¬
per der Seele nur Gehirn und Ruͤckenmark und Ner¬
ven ausmachen — den vernuͤnftigſten Hofdamen und
den ſchoͤnſten Hofherrn die Haut abſchund in Gedan¬
ken, ihnen ferner die Knochen herauszog und das we¬
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[164/0174] die des Okzidents abmalten und abſtraften: ſo war in ſeinen Erzaͤhlungen der Suͤden der Lehntraͤger und Paſquino des Nordens. Die ſanfte Menſchen-Dul¬ dung, die er ſich in ſeinem letzten Briefe vorgeſetzt, hielt er nicht laͤnger als bis er ihn geſtipt und geſie¬ gelt hatte — oder ſo lang' er ſpatziren gieng — oder waͤhrend der ſanften Nerven-Herabſchraubung nach einem Weinrauſch. Auch war ihm wenig daran ge¬ legen, von denen geachtet zu werden, die er ſelber nicht achtete: mitten unter großen philoſophiſchen, republikaniſchen Ideen oder Idealen wurden ihm die Kleinigkeiten der Gegenwart unſichtbar und veraͤcht¬ lich, jetzt zumal wo die kuͤnftige Welt oder die kuͤnf¬ tigen Welten die duͤnne verfinſterte, auf der er nach jenen hinſah, wie man durch den geſchwaͤrzten Tu¬ bus keinen Gegenſtand erblickt als die Sonne. So brachte er z. B. fuͤnf groteſke Minuten bei der Reſi¬ dentin damit zu, daß er — da den eigentlichen Koͤr¬ per der Seele nur Gehirn und Ruͤckenmark und Ner¬ ven ausmachen — den vernuͤnftigſten Hofdamen und den ſchoͤnſten Hofherrn die Haut abſchund in Gedan¬ ken, ihnen ferner die Knochen herauszog und das we¬ nige Fleiſch und Gedaͤrm was ſie umlag wegdachte, bis nichts mehr auf der Ottomane ſaß als ein Mark¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/174>, abgerufen am 22.11.2024.