Beschreibung schmerzt mich, weil die Möglichkeit der Wiederholung mich ängstigt. . . Ich stieg aus der sechseckigen Brutzelle des zweiten Lebens; der Tod streckte sich vor mir weit hin mit seinen tau¬ send Gliedern, den Köpfen und Knochen. Ich schien mir unten im chaotischen Abgrund zu stehen und oben weit über mir zog die Erde mit ihren Lebendigen. Mich eckelte Leben und Tod. Auf das was neben mir lag, so gar auf meine Mutter sah ich starr und kalt wie das Auge des Todes, wenn er ein Leben zerblickt. Ein rundes Eisengit¬ ter in der Kirchenmauer schnitt aus dem ganzen Himmel nichts heraus als die schimmernde zerbroch¬ ne Scheibe des Mondes, der als ein himmlisches Sarglicht auf den Sarg, der die Erde heißet, her¬ unter hieng. Die öde Kirche, dieser vorige Markt des redenden Gewimmels, stand ausgestorben und unterminiert von Todten da -- die langen Kirchen¬ fenster legten sich, vom Mond abgeschattet, über die Gitterstühle hinüber -- an der Sakristei richte¬ te sich das schwarze Todten-Kreuz auf, dieses Ordenskreuz des Todes -- die Degen und Spo¬ ren der Ritter erinnerten an die zerbröckelten Glie¬ der, die sie und sich nicht mehr bewegten und der
Beſchreibung ſchmerzt mich, weil die Moͤglichkeit der Wiederholung mich aͤngſtigt. . . Ich ſtieg aus der ſechseckigen Brutzelle des zweiten Lebens; der Tod ſtreckte ſich vor mir weit hin mit ſeinen tau¬ ſend Gliedern, den Koͤpfen und Knochen. Ich ſchien mir unten im chaotiſchen Abgrund zu ſtehen und oben weit uͤber mir zog die Erde mit ihren Lebendigen. Mich eckelte Leben und Tod. Auf das was neben mir lag, ſo gar auf meine Mutter ſah ich ſtarr und kalt wie das Auge des Todes, wenn er ein Leben zerblickt. Ein rundes Eiſengit¬ ter in der Kirchenmauer ſchnitt aus dem ganzen Himmel nichts heraus als die ſchimmernde zerbroch¬ ne Scheibe des Mondes, der als ein himmliſches Sarglicht auf den Sarg, der die Erde heißet, her¬ unter hieng. Die oͤde Kirche, dieſer vorige Markt des redenden Gewimmels, ſtand ausgeſtorben und unterminiert von Todten da — die langen Kirchen¬ fenſter legten ſich, vom Mond abgeſchattet, uͤber die Gitterſtuͤhle hinuͤber — an der Sakriſtei richte¬ te ſich das ſchwarze Todten-Kreuz auf, dieſes Ordenskreuz des Todes — die Degen und Spo¬ ren der Ritter erinnerten an die zerbroͤckelten Glie¬ der, die ſie und ſich nicht mehr bewegten und der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0149"n="139"/>
Beſchreibung ſchmerzt mich, weil die Moͤglichkeit<lb/>
der Wiederholung mich aͤngſtigt. . . Ich ſtieg aus<lb/>
der ſechseckigen Brutzelle des zweiten Lebens; der<lb/>
Tod ſtreckte ſich vor mir weit hin mit ſeinen tau¬<lb/>ſend Gliedern, den Koͤpfen und Knochen. Ich<lb/>ſchien mir unten im chaotiſchen Abgrund zu ſtehen<lb/>
und oben weit uͤber mir zog die Erde mit ihren<lb/>
Lebendigen. Mich eckelte Leben und Tod. Auf das<lb/>
was neben mir lag, ſo gar auf meine Mutter<lb/>ſah ich ſtarr und kalt wie das Auge des Todes,<lb/>
wenn er ein Leben zerblickt. Ein rundes Eiſengit¬<lb/>
ter in der Kirchenmauer ſchnitt aus dem ganzen<lb/>
Himmel nichts heraus als die ſchimmernde zerbroch¬<lb/>
ne Scheibe des Mondes, der als ein himmliſches<lb/>
Sarglicht auf den Sarg, der die Erde heißet, her¬<lb/>
unter hieng. Die oͤde Kirche, dieſer vorige Markt<lb/>
des redenden Gewimmels, ſtand ausgeſtorben und<lb/>
unterminiert von Todten da — die langen Kirchen¬<lb/>
fenſter legten ſich, vom Mond abgeſchattet, uͤber<lb/>
die Gitterſtuͤhle hinuͤber — an der Sakriſtei richte¬<lb/>
te ſich das ſchwarze Todten-Kreuz auf, dieſes<lb/>
Ordenskreuz des Todes — die Degen und Spo¬<lb/>
ren der Ritter erinnerten an die zerbroͤckelten Glie¬<lb/>
der, die ſie und ſich nicht mehr bewegten und der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[139/0149]
Beſchreibung ſchmerzt mich, weil die Moͤglichkeit
der Wiederholung mich aͤngſtigt. . . Ich ſtieg aus
der ſechseckigen Brutzelle des zweiten Lebens; der
Tod ſtreckte ſich vor mir weit hin mit ſeinen tau¬
ſend Gliedern, den Koͤpfen und Knochen. Ich
ſchien mir unten im chaotiſchen Abgrund zu ſtehen
und oben weit uͤber mir zog die Erde mit ihren
Lebendigen. Mich eckelte Leben und Tod. Auf das
was neben mir lag, ſo gar auf meine Mutter
ſah ich ſtarr und kalt wie das Auge des Todes,
wenn er ein Leben zerblickt. Ein rundes Eiſengit¬
ter in der Kirchenmauer ſchnitt aus dem ganzen
Himmel nichts heraus als die ſchimmernde zerbroch¬
ne Scheibe des Mondes, der als ein himmliſches
Sarglicht auf den Sarg, der die Erde heißet, her¬
unter hieng. Die oͤde Kirche, dieſer vorige Markt
des redenden Gewimmels, ſtand ausgeſtorben und
unterminiert von Todten da — die langen Kirchen¬
fenſter legten ſich, vom Mond abgeſchattet, uͤber
die Gitterſtuͤhle hinuͤber — an der Sakriſtei richte¬
te ſich das ſchwarze Todten-Kreuz auf, dieſes
Ordenskreuz des Todes — die Degen und Spo¬
ren der Ritter erinnerten an die zerbroͤckelten Glie¬
der, die ſie und ſich nicht mehr bewegten und der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/149>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.