Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

tete -- als sein wieder aufwärts geworfnes Auge
im tiefen Himmel, der Oefnung der Unendlichkeit,
versank -- und als er sich scheuete vor dem Herun¬
terbrechen der herumziehenden schwarzrothen Wol¬
kengebürge und der über seinen Haupt schwimmen¬
den Länder -- als er die Berge wie neue Erden
auf dieser liegen sah -- und als ihn umrang das un¬
endliche Leben, das gefiederte neben der Wolke flie¬
gende Leben, das summende Leben zu seinen Füßen,
das goldne kriechende Leben auf allen Blättern die
lebendigen auf ihn winkenden Arme und Häupter
der Riesenbäume -- und als der Morgenwind ihm
der große Athem eines kommenden Genius schien
und als die wehende Laube sprach und der Apfel¬
baum seine Wange mit einem kalten Blatt bewarf
-- als endlich sein belastet gehendes Auge sich auf
den weissen Flügeln eines Sommervogels tragen
ließ, der ungehört und einsam über bunte Blu¬
men wogte und sich ans breite grüne Blatt wie ei¬
ne Ohrrose versilbernd hing . . . . . : So fieng der
Himmel an zu brennen, der entflohenen Nacht lo¬
derte der nachschleifende Saum ihres Mantels weg
und auf dem Rand der Erde lag, wie eine vom
göttlichen Throne niedergesunkene Krone Gottes

tete — als ſein wieder aufwaͤrts geworfnes Auge
im tiefen Himmel, der Oefnung der Unendlichkeit,
verſank — und als er ſich ſcheuete vor dem Herun¬
terbrechen der herumziehenden ſchwarzrothen Wol¬
kengebuͤrge und der uͤber ſeinen Haupt ſchwimmen¬
den Laͤnder — als er die Berge wie neue Erden
auf dieſer liegen ſah — und als ihn umrang das un¬
endliche Leben, das gefiederte neben der Wolke flie¬
gende Leben, das ſummende Leben zu ſeinen Fuͤßen,
das goldne kriechende Leben auf allen Blaͤttern die
lebendigen auf ihn winkenden Arme und Haͤupter
der Rieſenbaͤume — und als der Morgenwind ihm
der große Athem eines kommenden Genius ſchien
und als die wehende Laube ſprach und der Apfel¬
baum ſeine Wange mit einem kalten Blatt bewarf
— als endlich ſein belaſtet gehendes Auge ſich auf
den weiſſen Fluͤgeln eines Sommervogels tragen
ließ, der ungehoͤrt und einſam uͤber bunte Blu¬
men wogte und ſich ans breite gruͤne Blatt wie ei¬
ne Ohrroſe verſilbernd hing . . . . . : So fieng der
Himmel an zu brennen, der entflohenen Nacht lo¬
derte der nachſchleifende Saum ihres Mantels weg
und auf dem Rand der Erde lag, wie eine vom
goͤttlichen Throne niedergeſunkene Krone Gottes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0095" n="59"/>
tete &#x2014; als &#x017F;ein wieder aufwa&#x0364;rts geworfnes Auge<lb/>
im tiefen Himmel, der Oefnung der Unendlichkeit,<lb/>
ver&#x017F;ank &#x2014; und als er &#x017F;ich &#x017F;cheuete vor dem Herun¬<lb/>
terbrechen der herumziehenden &#x017F;chwarzrothen Wol¬<lb/>
kengebu&#x0364;rge und der u&#x0364;ber &#x017F;einen Haupt &#x017F;chwimmen¬<lb/>
den La&#x0364;nder &#x2014; als er die Berge wie neue Erden<lb/>
auf die&#x017F;er liegen &#x017F;ah &#x2014; und als ihn umrang das un¬<lb/>
endliche Leben, das gefiederte neben der Wolke flie¬<lb/>
gende Leben, das &#x017F;ummende Leben zu &#x017F;einen Fu&#x0364;ßen,<lb/>
das goldne kriechende Leben auf allen Bla&#x0364;ttern die<lb/>
lebendigen auf ihn winkenden Arme und Ha&#x0364;upter<lb/>
der Rie&#x017F;enba&#x0364;ume &#x2014; und als der Morgenwind ihm<lb/>
der große Athem eines kommenden Genius &#x017F;chien<lb/>
und als die wehende Laube &#x017F;prach und der Apfel¬<lb/>
baum &#x017F;eine Wange mit einem kalten Blatt bewarf<lb/>
&#x2014; als endlich &#x017F;ein bela&#x017F;tet gehendes Auge &#x017F;ich auf<lb/>
den wei&#x017F;&#x017F;en Flu&#x0364;geln eines Sommervogels tragen<lb/>
ließ, der ungeho&#x0364;rt und ein&#x017F;am u&#x0364;ber bunte Blu¬<lb/>
men wogte und &#x017F;ich ans breite gru&#x0364;ne Blatt wie ei¬<lb/>
ne Ohrro&#x017F;e ver&#x017F;ilbernd hing . . . . . : So fieng der<lb/>
Himmel an zu brennen, der entflohenen Nacht lo¬<lb/>
derte der nach&#x017F;chleifende Saum ihres Mantels weg<lb/>
und auf dem Rand der Erde lag, wie eine vom<lb/>
go&#x0364;ttlichen Throne niederge&#x017F;unkene Krone Gottes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0095] tete — als ſein wieder aufwaͤrts geworfnes Auge im tiefen Himmel, der Oefnung der Unendlichkeit, verſank — und als er ſich ſcheuete vor dem Herun¬ terbrechen der herumziehenden ſchwarzrothen Wol¬ kengebuͤrge und der uͤber ſeinen Haupt ſchwimmen¬ den Laͤnder — als er die Berge wie neue Erden auf dieſer liegen ſah — und als ihn umrang das un¬ endliche Leben, das gefiederte neben der Wolke flie¬ gende Leben, das ſummende Leben zu ſeinen Fuͤßen, das goldne kriechende Leben auf allen Blaͤttern die lebendigen auf ihn winkenden Arme und Haͤupter der Rieſenbaͤume — und als der Morgenwind ihm der große Athem eines kommenden Genius ſchien und als die wehende Laube ſprach und der Apfel¬ baum ſeine Wange mit einem kalten Blatt bewarf — als endlich ſein belaſtet gehendes Auge ſich auf den weiſſen Fluͤgeln eines Sommervogels tragen ließ, der ungehoͤrt und einſam uͤber bunte Blu¬ men wogte und ſich ans breite gruͤne Blatt wie ei¬ ne Ohrroſe verſilbernd hing . . . . . : So fieng der Himmel an zu brennen, der entflohenen Nacht lo¬ derte der nachſchleifende Saum ihres Mantels weg und auf dem Rand der Erde lag, wie eine vom goͤttlichen Throne niedergeſunkene Krone Gottes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/95
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/95>, abgerufen am 25.11.2024.