wünschen, nicht einmal wollen, nicht einmal die Tugend. -- Auch irren die Leidenschaften über den Grad dieser Ab- und Zuneigung, dieses Freuens und Betrübens nicht: denn sobald ihnen die Sin¬ ne und die Phantasie den Gegenstand mit tausend¬ mal größeren moralischen oder physischen Reizen oder Flecken vorlegen als sie andre sehen: so muß doch das Lieben und Hassen nach Verhältniß des äussern Anlasses zunehmen, und sobald irgend ein äusserer Reiz den geringsten Grad von Liebe und Haß rechtfertigt: so muß auch der vergrößerte Reiz den vergrößerten Grad der Leidenschaft rechtfertigen. Die meisten Gründe gegen den Zorn beweisen nur, daß die vermeintliche moralische Häßlichkeit des Fein¬ des mangle, nicht, daß sie da und er doch zu lie¬ ben sei -- die meisten Gründe gegen unsre Liebe beweisen nur, daß unsre Liebe weniger den Grad als den Gegenstand verfehle u. s. w. Nicht bloß ein mäßiger, sondern der höchste Grad der Leiden¬ schaften würde zulässig seyn, sobald sich ihr Ge¬ genstand vorfände, z. B. die höchste Liebe gegen das höchste gute Wesen, den höchsten Haß gegen das höchste Böse. Da aber alle Gegenstände dieser
wuͤnſchen, nicht einmal wollen, nicht einmal die Tugend. — Auch irren die Leidenſchaften uͤber den Grad dieſer Ab- und Zuneigung, dieſes Freuens und Betruͤbens nicht: denn ſobald ihnen die Sin¬ ne und die Phantaſie den Gegenſtand mit tauſend¬ mal groͤßeren moraliſchen oder phyſiſchen Reizen oder Flecken vorlegen als ſie andre ſehen: ſo muß doch das Lieben und Haſſen nach Verhaͤltniß des aͤuſſern Anlaſſes zunehmen, und ſobald irgend ein aͤuſſerer Reiz den geringſten Grad von Liebe und Haß rechtfertigt: ſo muß auch der vergroͤßerte Reiz den vergroͤßerten Grad der Leidenſchaft rechtfertigen. Die meiſten Gruͤnde gegen den Zorn beweiſen nur, daß die vermeintliche moraliſche Haͤßlichkeit des Fein¬ des mangle, nicht, daß ſie da und er doch zu lie¬ ben ſei — die meiſten Gruͤnde gegen unſre Liebe beweiſen nur, daß unſre Liebe weniger den Grad als den Gegenſtand verfehle u. ſ. w. Nicht bloß ein maͤßiger, ſondern der hoͤchſte Grad der Leiden¬ ſchaften wuͤrde zulaͤſſig ſeyn, ſobald ſich ihr Ge¬ genſtand vorfaͤnde, z. B. die hoͤchſte Liebe gegen das hoͤchſte gute Weſen, den hoͤchſten Haß gegen das hoͤchſte Boͤſe. Da aber alle Gegenſtaͤnde dieſer
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wuͤnſchen, nicht einmal wollen, nicht einmal die
Tugend. — Auch irren die Leidenſchaften uͤber den
Grad dieſer Ab- und Zuneigung, dieſes Freuens
und Betruͤbens nicht: denn ſobald ihnen die Sin¬
ne und die Phantaſie den Gegenſtand mit tauſend¬
mal groͤßeren moraliſchen oder phyſiſchen Reizen
oder Flecken vorlegen als ſie andre ſehen: ſo muß
doch das Lieben und Haſſen nach Verhaͤltniß des
aͤuſſern Anlaſſes zunehmen, und ſobald irgend ein
aͤuſſerer Reiz den geringſten Grad von Liebe und
Haß rechtfertigt: ſo muß auch der vergroͤßerte Reiz
den vergroͤßerten Grad der Leidenſchaft rechtfertigen.
Die meiſten Gruͤnde gegen den Zorn beweiſen nur,
daß die vermeintliche moraliſche Haͤßlichkeit des Fein¬
des mangle, nicht, daß ſie da und er doch zu lie¬
ben ſei — die meiſten Gruͤnde gegen unſre Liebe
beweiſen nur, daß unſre Liebe weniger den Grad
als den Gegenſtand verfehle u. ſ. w. Nicht bloß
ein maͤßiger, ſondern der hoͤchſte Grad der Leiden¬
ſchaften wuͤrde zulaͤſſig ſeyn, ſobald ſich ihr Ge¬
genſtand vorfaͤnde, z. B. die hoͤchſte Liebe gegen
das hoͤchſte gute Weſen, den hoͤchſten Haß gegen
das hoͤchſte Boͤſe. Da aber alle Gegenſtaͤnde dieſer
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/411>, abgerufen am 22.11.2024.
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