mir niemand aus meiner Brust, es treibet mein bestes Blut und nie kannst du mich verkennen, ich sei so unkenntlich als ich wolle! Aber o Freund, es kommen Zeiten heran, wo dir dieses Verken¬ nen doch leichter werden kann!
Verhüllter Genius unserer verschatteten Kugel! ach wär' ich nur etwas gewesen, hätte meine Ge¬ hirnkugel und mein Herz nur wie Luther mit ir¬ gend einer dauerhaften weit wurzelnden That das Blut abverdient, das sie röthet und nährt: dann würde mein hungriger Stolz satte Demuth, vier niedrige Wände wären für mich groß genug, ich sehnte mich nach nichts Großem mehr als nach dem Tode und vorher nach dem Herbst des Le¬ bens und Alters, wo der Mensch, wenn die Ju¬ gend-Vögel verstummen, wenn über der Erde Nebel und fliegender Faden-Sommer liegt, wenn der Himmel ausgeheitert, aber nicht brennend über allem steht, sich sterbend auf die welken Blät¬ ter legt. -- -- -- Leb' wohl, mein Freund, auf einer Erde, wo man weiter nichts Gutes thun kann als in ihr liegen; im nächsten Herbst sind wir an einander!"
Zu
mir niemand aus meiner Bruſt, es treibet mein beſtes Blut und nie kannſt du mich verkennen, ich ſei ſo unkenntlich als ich wolle! Aber o Freund, es kommen Zeiten heran, wo dir dieſes Verken¬ nen doch leichter werden kann!
Verhuͤllter Genius unſerer verſchatteten Kugel! ach waͤr' ich nur etwas geweſen, haͤtte meine Ge¬ hirnkugel und mein Herz nur wie Luther mit ir¬ gend einer dauerhaften weit wurzelnden That das Blut abverdient, das ſie roͤthet und naͤhrt: dann wuͤrde mein hungriger Stolz ſatte Demuth, vier niedrige Waͤnde waͤren fuͤr mich groß genug, ich ſehnte mich nach nichts Großem mehr als nach dem Tode und vorher nach dem Herbſt des Le¬ bens und Alters, wo der Menſch, wenn die Ju¬ gend-Voͤgel verſtummen, wenn uͤber der Erde Nebel und fliegender Faden-Sommer liegt, wenn der Himmel ausgeheitert, aber nicht brennend uͤber allem ſteht, ſich ſterbend auf die welken Blaͤt¬ ter legt. — — — Leb' wohl, mein Freund, auf einer Erde, wo man weiter nichts Gutes thun kann als in ihr liegen; im naͤchſten Herbſt ſind wir an einander!“
Zu
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mir niemand aus meiner Bruſt, es treibet mein
beſtes Blut und nie kannſt du mich verkennen, ich
ſei ſo unkenntlich als ich wolle! Aber o Freund,
es kommen Zeiten heran, wo dir dieſes Verken¬
nen doch leichter werden kann!
Verhuͤllter Genius unſerer verſchatteten Kugel!
ach waͤr' ich nur etwas geweſen, haͤtte meine Ge¬
hirnkugel und mein Herz nur wie Luther mit ir¬
gend einer dauerhaften weit wurzelnden That das
Blut abverdient, das ſie roͤthet und naͤhrt: dann
wuͤrde mein hungriger Stolz ſatte Demuth,
vier niedrige Waͤnde waͤren fuͤr mich groß genug,
ich ſehnte mich nach nichts Großem mehr als nach
dem Tode und vorher nach dem Herbſt des Le¬
bens und Alters, wo der Menſch, wenn die Ju¬
gend-Voͤgel verſtummen, wenn uͤber der Erde
Nebel und fliegender Faden-Sommer liegt, wenn
der Himmel ausgeheitert, aber nicht brennend
uͤber allem ſteht, ſich ſterbend auf die welken Blaͤt¬
ter legt. — — — Leb' wohl, mein Freund, auf
einer Erde, wo man weiter nichts Gutes thun
kann als in ihr liegen; im naͤchſten Herbſt ſind
wir an einander!“
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/404>, abgerufen am 24.11.2024.
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