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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Liebe Philippine,

Ich habe bisher immer gezögert, um Ihnen
einen recht muntern Brief zu schreiben -- Aber
Philippine, hier mach' ich keinen. Mein Herz
liegt in meiner Brust wie in einer Eisgrube und
zittert den ganzen Tag; und doch waren Sie hier
so freudig und nirgends betrübt als bei unserem
Abschiede, der fast so lange währte wie unser
Beisammensein: ich bin wohl selber Schuld? Ich
glaub' es manchmal, wenn ich die lachenden Ge¬
sichter um die Residentin sehe oder wenn sie selber
spricht und ich mir in ihrer Stelle denke, was ich
ihr mit meinem Schweigen und Reden scheinen
muß. Ich darf nicht mehr an die Hofnungen mei¬
ner Einsamkeit denken, so sehr werd' ich von den
Vorzügen fremder Gesellschaft beschämt -- Und
wenn mich eine Rolle, die für mich zu groß ist,
freilich niederdrückt: so weiß ich mit nichts mich
aufzurichten als daß ich ins stille Land wegschleiche
-- da hab' ich süßere Minuten und mir gehen oft
die Augen plötzlich über, weil mich da alles zu lie¬
ben scheint und weil da die sanfte Blume und der
schuldlose Vogel mich nicht demüthigen sondern
meine Liebe achten -- dann seh' ich den Geist der

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Liebe Philippine,

Ich habe bisher immer gezoͤgert, um Ihnen
einen recht muntern Brief zu ſchreiben — Aber
Philippine, hier mach' ich keinen. Mein Herz
liegt in meiner Bruſt wie in einer Eisgrube und
zittert den ganzen Tag; und doch waren Sie hier
ſo freudig und nirgends betruͤbt als bei unſerem
Abſchiede, der faſt ſo lange waͤhrte wie unſer
Beiſammenſein: ich bin wohl ſelber Schuld? Ich
glaub' es manchmal, wenn ich die lachenden Ge¬
ſichter um die Reſidentin ſehe oder wenn ſie ſelber
ſpricht und ich mir in ihrer Stelle denke, was ich
ihr mit meinem Schweigen und Reden ſcheinen
muß. Ich darf nicht mehr an die Hofnungen mei¬
ner Einſamkeit denken, ſo ſehr werd' ich von den
Vorzuͤgen fremder Geſellſchaft beſchaͤmt — Und
wenn mich eine Rolle, die fuͤr mich zu groß iſt,
freilich niederdruͤckt: ſo weiß ich mit nichts mich
aufzurichten als daß ich ins ſtille Land wegſchleiche
— da hab' ich ſuͤßere Minuten und mir gehen oft
die Augen ploͤtzlich uͤber, weil mich da alles zu lie¬
ben ſcheint und weil da die ſanfte Blume und der
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meine Liebe achten — dann ſeh' ich den Geiſt der

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[323/0359] Liebe Philippine, Ich habe bisher immer gezoͤgert, um Ihnen einen recht muntern Brief zu ſchreiben — Aber Philippine, hier mach' ich keinen. Mein Herz liegt in meiner Bruſt wie in einer Eisgrube und zittert den ganzen Tag; und doch waren Sie hier ſo freudig und nirgends betruͤbt als bei unſerem Abſchiede, der faſt ſo lange waͤhrte wie unſer Beiſammenſein: ich bin wohl ſelber Schuld? Ich glaub' es manchmal, wenn ich die lachenden Ge¬ ſichter um die Reſidentin ſehe oder wenn ſie ſelber ſpricht und ich mir in ihrer Stelle denke, was ich ihr mit meinem Schweigen und Reden ſcheinen muß. Ich darf nicht mehr an die Hofnungen mei¬ ner Einſamkeit denken, ſo ſehr werd' ich von den Vorzuͤgen fremder Geſellſchaft beſchaͤmt — Und wenn mich eine Rolle, die fuͤr mich zu groß iſt, freilich niederdruͤckt: ſo weiß ich mit nichts mich aufzurichten als daß ich ins ſtille Land wegſchleiche — da hab' ich ſuͤßere Minuten und mir gehen oft die Augen ploͤtzlich uͤber, weil mich da alles zu lie¬ ben ſcheint und weil da die ſanfte Blume und der ſchuldloſe Vogel mich nicht demuͤthigen ſondern meine Liebe achten — dann ſeh' ich den Geiſt der X 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/359>, abgerufen am 27.11.2024.