Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein und zwanzigster oder Michaelis-Sektor.

Neues Paktum zwischen dem Leser und Biographen -- Gu¬
stavs Brief.


Ziehe hin, Geliebter, (sagt' ich,) den das Welt-
Meer nimmt; das Sonnenbild deines verborgen füh¬
lenden Herzens lächle aus dem Meersgrund und
schwimme mit dir! dein junges Herz bringest du nicht
mehr nach Auenthal! -- o daß doch die Früchte am
Menschen ein andres Wetter haben müssen als seine
Blüthen -- statt des Hauches des Lenzes den Stich
des Augusts und den Sturm des Herbstes!" Ich
dacht' es, so lange sein Wagen in meinen Augen
blieb; nachher gieng ich in die Gartenhöle hinunter
zu den zwei Mönchen, und als ich dachte: in euerer
kalten Stein-Brust wohnt kein Wunsch, kein Seh¬
nen, kein Schmerz, kein -- Herz: "eben darum."
sagt' ich in anderem Sinn.

Heute ist Michaelis und heute -- ich kann mich
nicht länger verstellen -- bejährt sich seine Abreise.
Heute fängt zwischen mir und dem Leser ein ganz
neues Leben an und wir wollen ruhig alles mit ein¬
ander vorher ausmachen.

Ein und zwanzigſter oder Michaelis-Sektor.

Neues Paktum zwiſchen dem Leſer und Biographen — Gu¬
ſtavs Brief.


Ziehe hin, Geliebter, (ſagt' ich,) den das Welt-
Meer nimmt; das Sonnenbild deines verborgen fuͤh¬
lenden Herzens laͤchle aus dem Meersgrund und
ſchwimme mit dir! dein junges Herz bringeſt du nicht
mehr nach Auenthal! — o daß doch die Fruͤchte am
Menſchen ein andres Wetter haben muͤſſen als ſeine
Bluͤthen — ſtatt des Hauches des Lenzes den Stich
des Auguſts und den Sturm des Herbſtes!“ Ich
dacht' es, ſo lange ſein Wagen in meinen Augen
blieb; nachher gieng ich in die Gartenhoͤle hinunter
zu den zwei Moͤnchen, und als ich dachte: in euerer
kalten Stein-Bruſt wohnt kein Wunſch, kein Seh¬
nen, kein Schmerz, kein — Herz: „eben darum.“
ſagt' ich in anderem Sinn.

Heute iſt Michaelis und heute — ich kann mich
nicht laͤnger verſtellen — bejaͤhrt ſich ſeine Abreiſe.
Heute faͤngt zwiſchen mir und dem Leſer ein ganz
neues Leben an und wir wollen ruhig alles mit ein¬
ander vorher ausmachen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0323" n="287"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Ein und zwanzig&#x017F;ter oder Michaelis-Sektor.</hi><lb/>
          </head>
          <argument>
            <p rendition="#c">Neues Paktum zwi&#x017F;chen dem Le&#x017F;er und Biographen &#x2014; Gu¬<lb/>
&#x017F;tavs Brief.</p>
          </argument><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><hi rendition="#in">Z</hi>iehe hin, Geliebter, (&#x017F;agt' ich,) den das Welt-<lb/>
Meer nimmt; das Sonnenbild deines verborgen fu&#x0364;<lb/>
lenden Herzens la&#x0364;chle aus dem Meersgrund und<lb/>
&#x017F;chwimme mit dir! dein junges Herz bringe&#x017F;t du nicht<lb/>
mehr nach Auenthal! &#x2014; o daß doch die Fru&#x0364;chte am<lb/>
Men&#x017F;chen ein andres Wetter haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en als &#x017F;eine<lb/>
Blu&#x0364;then &#x2014; &#x017F;tatt des Hauches des Lenzes den Stich<lb/>
des Augu&#x017F;ts und den Sturm des Herb&#x017F;tes!&#x201C; Ich<lb/>
dacht' es, &#x017F;o lange &#x017F;ein Wagen in meinen Augen<lb/>
blieb; nachher gieng ich in die Gartenho&#x0364;le hinunter<lb/>
zu den zwei Mo&#x0364;nchen, und als ich dachte: in euerer<lb/>
kalten Stein-Bru&#x017F;t wohnt kein Wun&#x017F;ch, kein Seh¬<lb/>
nen, kein Schmerz, kein &#x2014; Herz: &#x201E;eben darum.&#x201C;<lb/>
&#x017F;agt' ich in anderem Sinn.</p><lb/>
          <p>Heute i&#x017F;t Michaelis und heute &#x2014; ich kann mich<lb/>
nicht la&#x0364;nger ver&#x017F;tellen &#x2014; <hi rendition="#g">beja&#x0364;hrt</hi> &#x017F;ich &#x017F;eine Abrei&#x017F;e.<lb/>
Heute fa&#x0364;ngt zwi&#x017F;chen mir und dem Le&#x017F;er ein ganz<lb/>
neues Leben an und wir wollen ruhig alles mit ein¬<lb/>
ander vorher ausmachen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0323] Ein und zwanzigſter oder Michaelis-Sektor. Neues Paktum zwiſchen dem Leſer und Biographen — Gu¬ ſtavs Brief. Ziehe hin, Geliebter, (ſagt' ich,) den das Welt- Meer nimmt; das Sonnenbild deines verborgen fuͤh¬ lenden Herzens laͤchle aus dem Meersgrund und ſchwimme mit dir! dein junges Herz bringeſt du nicht mehr nach Auenthal! — o daß doch die Fruͤchte am Menſchen ein andres Wetter haben muͤſſen als ſeine Bluͤthen — ſtatt des Hauches des Lenzes den Stich des Auguſts und den Sturm des Herbſtes!“ Ich dacht' es, ſo lange ſein Wagen in meinen Augen blieb; nachher gieng ich in die Gartenhoͤle hinunter zu den zwei Moͤnchen, und als ich dachte: in euerer kalten Stein-Bruſt wohnt kein Wunſch, kein Seh¬ nen, kein Schmerz, kein — Herz: „eben darum.“ ſagt' ich in anderem Sinn. Heute iſt Michaelis und heute — ich kann mich nicht laͤnger verſtellen — bejaͤhrt ſich ſeine Abreiſe. Heute faͤngt zwiſchen mir und dem Leſer ein ganz neues Leben an und wir wollen ruhig alles mit ein¬ ander vorher ausmachen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/323
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/323>, abgerufen am 21.12.2024.