Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.-- Aber in Gustavs Gehirn riß dieses in der — Aber in Guſtavs Gehirn riß dieſes in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0314" n="278"/> <p>— Aber in Guſtavs Gehirn riß dieſes in der<lb/> Luft hangende Geſicht mit der Aeznadel ein ver¬<lb/> zerrtes Bild hinein, das ſeine Fieberphantaſien ihm<lb/> einmal wieder unter die ſterbenden Augen halten<lb/> werden. Bloß heftige Phantaſie, nicht Mangel an<lb/> Muth, ſchaft die Geiſterfurcht; und wer jene ein¬<lb/> mal in einem Kinde zum Erſchrecken aufwiegelte,<lb/> gewinnt nichts, wenn er ſie nachher widerlegt und<lb/> ſie belehrt „es war natuͤrlich.“ Daher fuͤrchten ſich<lb/> in der naͤmlichen Familie nur einige Kinder, d. h.<lb/> die mit gefluͤgelter Phantaſie — daher zieht Shakeſ¬<lb/> pear in ſeinen Geiſterſzenen die Haare des Freiden¬<lb/> kers in der Frontloge zu Berge, offenbar vermittelſt<lb/> ſeiner aufgewiegelten Phantaſie. — Die Geiſterfurcht<lb/> iſt ein auſſerordentliches Meteor unſerer Natur: erſt¬<lb/> lich wegen ihrer Herrſchaft uͤber alle Voͤlker; zwei¬<lb/> tens weil ſie nicht von der Erziehung koͤmmt; denn<lb/> in der Kindheit ſchauert man zugleich vor dem groſ¬<lb/> ſen Baͤren an der Thuͤre und vor einem Geiſte zu¬<lb/> ſammen, aber die eine Furcht vergeht, warum bleibt<lb/> die andre? — Drittens: des Gegenſtandes wegen:<lb/> der Geiſterfurchtſame erſtarret nicht vor Schmerz oder<lb/> Tod, ſondern vor der bloßen <hi rendition="#g">Gegenwart</hi> eines<lb/> ganz fremdartigen Weſens; er wuͤrde einen Mond-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [278/0314]
— Aber in Guſtavs Gehirn riß dieſes in der
Luft hangende Geſicht mit der Aeznadel ein ver¬
zerrtes Bild hinein, das ſeine Fieberphantaſien ihm
einmal wieder unter die ſterbenden Augen halten
werden. Bloß heftige Phantaſie, nicht Mangel an
Muth, ſchaft die Geiſterfurcht; und wer jene ein¬
mal in einem Kinde zum Erſchrecken aufwiegelte,
gewinnt nichts, wenn er ſie nachher widerlegt und
ſie belehrt „es war natuͤrlich.“ Daher fuͤrchten ſich
in der naͤmlichen Familie nur einige Kinder, d. h.
die mit gefluͤgelter Phantaſie — daher zieht Shakeſ¬
pear in ſeinen Geiſterſzenen die Haare des Freiden¬
kers in der Frontloge zu Berge, offenbar vermittelſt
ſeiner aufgewiegelten Phantaſie. — Die Geiſterfurcht
iſt ein auſſerordentliches Meteor unſerer Natur: erſt¬
lich wegen ihrer Herrſchaft uͤber alle Voͤlker; zwei¬
tens weil ſie nicht von der Erziehung koͤmmt; denn
in der Kindheit ſchauert man zugleich vor dem groſ¬
ſen Baͤren an der Thuͤre und vor einem Geiſte zu¬
ſammen, aber die eine Furcht vergeht, warum bleibt
die andre? — Drittens: des Gegenſtandes wegen:
der Geiſterfurchtſame erſtarret nicht vor Schmerz oder
Tod, ſondern vor der bloßen Gegenwart eines
ganz fremdartigen Weſens; er wuͤrde einen Mond-
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/314>, abgerufen am 16.02.2025. |