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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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"Warum lässest Du Deine gute Schwester so
"lange im giftigen Hüttenrauch des Hofes stehen?
"Ist das, was sie dort gewinnen kann, wohl so
"viel werth wie das, was sie mitbringt und dort
"verlieren kann, ihr reines, weiches obgleich
"flüchtiges Herz? Auf meinen Reisen dacht' ich
"anders, aber jezt in der Einsamkeit ist mir ein
"kokettes Insekt, eine kokette Krebsin, die bald
"vor-bald rückwärts kriecht, die ihre große und
"kleine Scheeren immer aufsperrt und sie immer
"regeneriert, wenn man sie abgerissen, die in der
"Brust statt des Herzens einen Magen trägt und
"doch kaltblütig ist wie alle Insekten, eine solche
"inkrustirte Krebsin ist mir widerlicher als eine
"schaalenlose in der Mauße der Empfindsamkeit,
"die zu weich ist und aus der ein Autor die em¬
"pfindsame Krebsbutter macht. Empfindelei bessert sich
"mit den Jahren, Koketterie verschlimmert sich mit den
"Jahren. -- Warum schafst Du Deine Philippine
"nicht nach Haus?" Auf diese Fragen hat mir
Jean Paul nicht geantwortet; ich aber auf seine:
denn ich räche mich nicht; ich wünschte vielmehr
besagter Paul drückte Beatens Finger heute an
unrechte Finger mehr als auf die rechten Tasten

„Warum laͤſſeſt Du Deine gute Schweſter ſo
„lange im giftigen Huͤttenrauch des Hofes ſtehen?
„Iſt das, was ſie dort gewinnen kann, wohl ſo
„viel werth wie das, was ſie mitbringt und dort
„verlieren kann, ihr reines, weiches obgleich
„fluͤchtiges Herz? Auf meinen Reiſen dacht' ich
„anders, aber jezt in der Einſamkeit iſt mir ein
„kokettes Inſekt, eine kokette Krebſin, die bald
„vor-bald ruͤckwaͤrts kriecht, die ihre große und
„kleine Scheeren immer aufſperrt und ſie immer
„regeneriert, wenn man ſie abgeriſſen, die in der
„Bruſt ſtatt des Herzens einen Magen traͤgt und
„doch kaltbluͤtig iſt wie alle Inſekten, eine ſolche
„inkruſtirte Krebſin iſt mir widerlicher als eine
„ſchaalenloſe in der Mauße der Empfindſamkeit,
„die zu weich iſt und aus der ein Autor die em¬
„pfindſame Krebsbutter macht. Empfindelei beſſert ſich
„mit den Jahren, Koketterie verſchlimmert ſich mit den
„Jahren. — Warum ſchafſt Du Deine Philippine
„nicht nach Haus?“ Auf dieſe Fragen hat mir
Jean Paul nicht geantwortet; ich aber auf ſeine:
denn ich raͤche mich nicht; ich wuͤnſchte vielmehr
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[253/0289] „Warum laͤſſeſt Du Deine gute Schweſter ſo „lange im giftigen Huͤttenrauch des Hofes ſtehen? „Iſt das, was ſie dort gewinnen kann, wohl ſo „viel werth wie das, was ſie mitbringt und dort „verlieren kann, ihr reines, weiches obgleich „fluͤchtiges Herz? Auf meinen Reiſen dacht' ich „anders, aber jezt in der Einſamkeit iſt mir ein „kokettes Inſekt, eine kokette Krebſin, die bald „vor-bald ruͤckwaͤrts kriecht, die ihre große und „kleine Scheeren immer aufſperrt und ſie immer „regeneriert, wenn man ſie abgeriſſen, die in der „Bruſt ſtatt des Herzens einen Magen traͤgt und „doch kaltbluͤtig iſt wie alle Inſekten, eine ſolche „inkruſtirte Krebſin iſt mir widerlicher als eine „ſchaalenloſe in der Mauße der Empfindſamkeit, „die zu weich iſt und aus der ein Autor die em¬ „pfindſame Krebsbutter macht. Empfindelei beſſert ſich „mit den Jahren, Koketterie verſchlimmert ſich mit den „Jahren. — Warum ſchafſt Du Deine Philippine „nicht nach Haus?“ Auf dieſe Fragen hat mir Jean Paul nicht geantwortet; ich aber auf ſeine: denn ich raͤche mich nicht; ich wuͤnſchte vielmehr beſagter Paul druͤckte Beatens Finger heute an unrechte Finger mehr als auf die rechten Taſten

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/289>, abgerufen am 27.11.2024.