Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.die ich vor 14 Tagen noch von ihr wußte. Mäd¬ die ich vor 14 Tagen noch von ihr wußte. Maͤd¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0282" n="246"/> die ich vor 14 Tagen noch von ihr wußte. Maͤd¬<lb/> chen, die oft krank ſind, gewoͤhnen ſich eine Mi¬<lb/> ne von geduldigem Ergeben an, die „<hi rendition="#g">zum Ster</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">ben ſchoͤn</hi>” iſt. Ich habe ihren Lieblingsaus¬<lb/> druck unterſtrichen, aber nur von ihrer Zunge kann<lb/> er im ſchoͤnſten ſterbenden ſinkenden Laute flieſſen.<lb/> Dieſe Geduld gewoͤhnet ihr auſſer ihren ewigen<lb/> Kopfſchmerzen auch ihr <supplied>Vat</supplied>er an, der ſie gleich<lb/> ſehr quaͤlt und liebt und <supplied>de</supplied>r ihr zu Gefallen (nach<lb/> dem Egoiſmus des Geizes) eine Welt abſchlachtete.<lb/> Wenn die <hi rendition="#g">Seele</hi> mancher Menſchen (ſicher auch<lb/> dieſe) zu zart und fein fuͤr dieſe Moraſt-Erde iſt:<lb/> ſo iſts auch <hi rendition="#g">oft</hi> der <hi rendition="#g">Koͤrper</hi> mancher Menſchen,<lb/> der nur in Kolibri-Wetter und in Tempe-Thaͤlern<lb/> und in Zephyrn ausdauert. Ein zarter Koͤrper<lb/> und ein zarter Geiſt reiben einander auf. Beata<lb/> haͤngt wie alle von dieſer Kryſtalliſation, ein wenig<lb/> zur Schwaͤrmerei, Empfindſamkeit und Dichtkunſt<lb/> hin; aber was ſie in meinen Augen hoch hinauf<lb/> ſtellt iſt ein Ehrgefuͤhl, eine demuͤthige Selbſtach¬<lb/> tung, die (meinen wenigen Bemerkungen nach)<lb/> ein Erbtheil nicht der Erziehung ſondern des guͤtig¬<lb/> ſten Schickſals iſt. Dieſe Wuͤrde ſichert ohne pruͤde<lb/> Aengſtlichkeit die weibliche Tugend: wenn man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [246/0282]
die ich vor 14 Tagen noch von ihr wußte. Maͤd¬
chen, die oft krank ſind, gewoͤhnen ſich eine Mi¬
ne von geduldigem Ergeben an, die „zum Ster¬
ben ſchoͤn” iſt. Ich habe ihren Lieblingsaus¬
druck unterſtrichen, aber nur von ihrer Zunge kann
er im ſchoͤnſten ſterbenden ſinkenden Laute flieſſen.
Dieſe Geduld gewoͤhnet ihr auſſer ihren ewigen
Kopfſchmerzen auch ihr Vater an, der ſie gleich
ſehr quaͤlt und liebt und der ihr zu Gefallen (nach
dem Egoiſmus des Geizes) eine Welt abſchlachtete.
Wenn die Seele mancher Menſchen (ſicher auch
dieſe) zu zart und fein fuͤr dieſe Moraſt-Erde iſt:
ſo iſts auch oft der Koͤrper mancher Menſchen,
der nur in Kolibri-Wetter und in Tempe-Thaͤlern
und in Zephyrn ausdauert. Ein zarter Koͤrper
und ein zarter Geiſt reiben einander auf. Beata
haͤngt wie alle von dieſer Kryſtalliſation, ein wenig
zur Schwaͤrmerei, Empfindſamkeit und Dichtkunſt
hin; aber was ſie in meinen Augen hoch hinauf
ſtellt iſt ein Ehrgefuͤhl, eine demuͤthige Selbſtach¬
tung, die (meinen wenigen Bemerkungen nach)
ein Erbtheil nicht der Erziehung ſondern des guͤtig¬
ſten Schickſals iſt. Dieſe Wuͤrde ſichert ohne pruͤde
Aengſtlichkeit die weibliche Tugend: wenn man
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/282>, abgerufen am 28.07.2024. |