Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

bürste oder ein Stallbesen drüber ist, einem Leben,
dem bloß dieses Wenige fehlte, vorziehen wird,
ob er gleich nicht durch jenes glücklicher wird. Da¬
her legt der unvollkommne Karakter auf die klein¬
sten Effekten wie Schandy auf die kleinsten Wahr¬
heiten einen so großen Werth wie auf die größten,
daher muß er mit den Nußschalen heizen, mit ab¬
gelöseten Siegeln siegeln, auf fremde leere Brief¬
spatia eigne Briefe schreiben etc. Der unvollkomm¬
ne Karakter hat hierin Aehnlichkeit mit dem Geizi¬
gen, der mit ähnlichen Kleinigkeiten wuchert und
den keine Gründe widerlegen können: denn wenn
ich einen Groschen nicht wegwerfen darf, so darf
ich auch keinen Pfennig, keinen halben Pfennig,
keinen Pfennig: die Gründe sind die näm¬
lichen.

Im Menschen liegt ein entsetzlicher Hang zum
Geiz: den größten Verschwender könnte man zu
noch etwas schlimmern, zum größten Knicker ma¬
chen, wenn man ihm so viel gäbe, daß er es für
viel und der Vermehrung werth hielte: und um¬
gekehrt. So will der Wassersüchtige desto mehr
Wasser, je höher er davon geschwollen ist; mit
seinem Wasser fället zugleich der Durst darnach.

buͤrſte oder ein Stallbeſen druͤber iſt, einem Leben,
dem bloß dieſes Wenige fehlte, vorziehen wird,
ob er gleich nicht durch jenes gluͤcklicher wird. Da¬
her legt der unvollkommne Karakter auf die klein¬
ſten Effekten wie Schandy auf die kleinſten Wahr¬
heiten einen ſo großen Werth wie auf die groͤßten,
daher muß er mit den Nußſchalen heizen, mit ab¬
geloͤſeten Siegeln ſiegeln, auf fremde leere Brief¬
ſpatia eigne Briefe ſchreiben ꝛc. Der unvollkomm¬
ne Karakter hat hierin Aehnlichkeit mit dem Geizi¬
gen, der mit aͤhnlichen Kleinigkeiten wuchert und
den keine Gruͤnde widerlegen koͤnnen: denn wenn
ich einen Groſchen nicht wegwerfen darf, ſo darf
ich auch keinen Pfennig, keinen halben Pfennig,
keinen Pfennig: die Gruͤnde ſind die naͤm¬
lichen.

Im Menſchen liegt ein entſetzlicher Hang zum
Geiz: den groͤßten Verſchwender koͤnnte man zu
noch etwas ſchlimmern, zum groͤßten Knicker ma¬
chen, wenn man ihm ſo viel gaͤbe, daß er es fuͤr
viel und der Vermehrung werth hielte: und um¬
gekehrt. So will der Waſſerſuͤchtige deſto mehr
Waſſer, je hoͤher er davon geſchwollen iſt; mit
ſeinem Waſſer faͤllet zugleich der Durſt darnach.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0275" n="239"/>
bu&#x0364;r&#x017F;te oder ein Stallbe&#x017F;en dru&#x0364;ber i&#x017F;t, einem Leben,<lb/>
dem bloß die&#x017F;es Wenige fehlte, vorziehen wird,<lb/>
ob <choice><sic>ergleich</sic><corr>er gleich</corr></choice> nicht durch jenes glu&#x0364;cklicher wird. Da¬<lb/>
her legt der unvollkommne Karakter auf die klein¬<lb/>
&#x017F;ten Effekten wie Schandy auf die klein&#x017F;ten Wahr¬<lb/>
heiten einen &#x017F;o großen Werth wie auf die gro&#x0364;ßten,<lb/>
daher muß er mit den Nuß&#x017F;chalen heizen, mit ab¬<lb/>
gelo&#x0364;&#x017F;eten Siegeln &#x017F;iegeln, auf fremde leere Brief¬<lb/>
&#x017F;patia eigne Briefe &#x017F;chreiben &#xA75B;c. Der unvollkomm¬<lb/>
ne Karakter hat hierin Aehnlichkeit mit dem Geizi¬<lb/>
gen, der mit a&#x0364;hnlichen Kleinigkeiten wuchert und<lb/>
den keine Gru&#x0364;nde widerlegen ko&#x0364;nnen: denn wenn<lb/>
ich einen Gro&#x017F;chen nicht wegwerfen darf, &#x017F;o darf<lb/>
ich auch keinen Pfennig, keinen halben Pfennig,<lb/>
keinen <formula notation="TeX">\frac{1}{10000}</formula> Pfennig: die Gru&#x0364;nde &#x017F;ind die na&#x0364;<lb/>
lichen.</p><lb/>
          <p>Im Men&#x017F;chen liegt ein ent&#x017F;etzlicher Hang zum<lb/>
Geiz: den gro&#x0364;ßten Ver&#x017F;chwender ko&#x0364;nnte man zu<lb/>
noch etwas &#x017F;chlimmern, zum gro&#x0364;ßten Knicker ma¬<lb/>
chen, wenn man ihm &#x017F;o viel ga&#x0364;be, daß er es fu&#x0364;r<lb/>
viel und der Vermehrung werth hielte: und um¬<lb/>
gekehrt. So will der Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;u&#x0364;chtige de&#x017F;to mehr<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er, je ho&#x0364;her er davon ge&#x017F;chwollen i&#x017F;t; mit<lb/>
&#x017F;einem Wa&#x017F;&#x017F;er fa&#x0364;llet zugleich der Dur&#x017F;t darnach.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0275] buͤrſte oder ein Stallbeſen druͤber iſt, einem Leben, dem bloß dieſes Wenige fehlte, vorziehen wird, ob er gleich nicht durch jenes gluͤcklicher wird. Da¬ her legt der unvollkommne Karakter auf die klein¬ ſten Effekten wie Schandy auf die kleinſten Wahr¬ heiten einen ſo großen Werth wie auf die groͤßten, daher muß er mit den Nußſchalen heizen, mit ab¬ geloͤſeten Siegeln ſiegeln, auf fremde leere Brief¬ ſpatia eigne Briefe ſchreiben ꝛc. Der unvollkomm¬ ne Karakter hat hierin Aehnlichkeit mit dem Geizi¬ gen, der mit aͤhnlichen Kleinigkeiten wuchert und den keine Gruͤnde widerlegen koͤnnen: denn wenn ich einen Groſchen nicht wegwerfen darf, ſo darf ich auch keinen Pfennig, keinen halben Pfennig, keinen [FORMEL] Pfennig: die Gruͤnde ſind die naͤm¬ lichen. Im Menſchen liegt ein entſetzlicher Hang zum Geiz: den groͤßten Verſchwender koͤnnte man zu noch etwas ſchlimmern, zum groͤßten Knicker ma¬ chen, wenn man ihm ſo viel gaͤbe, daß er es fuͤr viel und der Vermehrung werth hielte: und um¬ gekehrt. So will der Waſſerſuͤchtige deſto mehr Waſſer, je hoͤher er davon geſchwollen iſt; mit ſeinem Waſſer faͤllet zugleich der Durſt darnach.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/275
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/275>, abgerufen am 27.07.2024.