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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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rer saß vergeblich zu Hause -- wöchentlich zweimal
zum dummen Senior Sezmann zu Auenthal ab¬
marschiren, der zum Glück kein Jurist, wie ich
war und in dessen Pfarrwohnung ein Rudel Kate¬
chumenen die Schnauzen in geronnene Katechismus-
Milch stecken mußten -- Gustav brachte statt des
Thier-Rüssels einen zu kurzen Mund mit.

Gleichwohl war der Senior Sezmann nicht
übel: auf einen Parliaments-Wollensack hätt' er
sich zu einem Redner gesessen, d. h. zu einem Ding,
das unter den Personen, die ihm Anfangs nicht
glauben, zuerst seine eigne überredet -- Ein Red¬
ner ist so leicht zu überreden als er überredet --
Der Senior war jeden Sonntag in den ersten Stun¬
den nach der Predigt fromm genug: er kann zwar
verdammt werden, aber bloß Mangel an Predig¬
ten würd' es thun und der an Bier. Eine ver¬
nünftige Betrunkenheit kömmt beides dem asceti¬
schen und dem poetischen Enthusiasmus un¬
glaublich zu statten. Die Leser sind meine Freun¬
de nicht, welche sagen, aus bloßer Aergerniß --
daß mein Gustav seine Stunden hörte -- schrieb'
ichs hier der Welt hin, daß der Keller die Pauls-
und Peterskirche des Seniors war -- daß seine

rer ſaß vergeblich zu Hauſe — woͤchentlich zweimal
zum dummen Senior Sezmann zu Auenthal ab¬
marſchiren, der zum Gluͤck kein Juriſt, wie ich
war und in deſſen Pfarrwohnung ein Rudel Kate¬
chumenen die Schnauzen in geronnene Katechiſmus-
Milch ſtecken mußten — Guſtav brachte ſtatt des
Thier-Ruͤſſels einen zu kurzen Mund mit.

Gleichwohl war der Senior Sezmann nicht
uͤbel: auf einen Parliaments-Wollenſack haͤtt' er
ſich zu einem Redner geſeſſen, d. h. zu einem Ding,
das unter den Perſonen, die ihm Anfangs nicht
glauben, zuerſt ſeine eigne uͤberredet — Ein Red¬
ner iſt ſo leicht zu uͤberreden als er uͤberredet —
Der Senior war jeden Sonntag in den erſten Stun¬
den nach der Predigt fromm genug: er kann zwar
verdammt werden, aber bloß Mangel an Predig¬
ten wuͤrd' es thun und der an Bier. Eine ver¬
nuͤnftige Betrunkenheit koͤmmt beides dem aſceti¬
ſchen und dem poetiſchen Enthuſiaſmus un¬
glaublich zu ſtatten. Die Leſer ſind meine Freun¬
de nicht, welche ſagen, aus bloßer Aergerniß —
daß mein Guſtav ſeine Stunden hoͤrte — ſchrieb'
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[206/0242] rer ſaß vergeblich zu Hauſe — woͤchentlich zweimal zum dummen Senior Sezmann zu Auenthal ab¬ marſchiren, der zum Gluͤck kein Juriſt, wie ich war und in deſſen Pfarrwohnung ein Rudel Kate¬ chumenen die Schnauzen in geronnene Katechiſmus- Milch ſtecken mußten — Guſtav brachte ſtatt des Thier-Ruͤſſels einen zu kurzen Mund mit. Gleichwohl war der Senior Sezmann nicht uͤbel: auf einen Parliaments-Wollenſack haͤtt' er ſich zu einem Redner geſeſſen, d. h. zu einem Ding, das unter den Perſonen, die ihm Anfangs nicht glauben, zuerſt ſeine eigne uͤberredet — Ein Red¬ ner iſt ſo leicht zu uͤberreden als er uͤberredet — Der Senior war jeden Sonntag in den erſten Stun¬ den nach der Predigt fromm genug: er kann zwar verdammt werden, aber bloß Mangel an Predig¬ ten wuͤrd' es thun und der an Bier. Eine ver¬ nuͤnftige Betrunkenheit koͤmmt beides dem aſceti¬ ſchen und dem poetiſchen Enthuſiaſmus un¬ glaublich zu ſtatten. Die Leſer ſind meine Freun¬ de nicht, welche ſagen, aus bloßer Aergerniß — daß mein Guſtav ſeine Stunden hoͤrte — ſchrieb' ichs hier der Welt hin, daß der Keller die Pauls- und Peterskirche des Seniors war — daß ſeine

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/242>, abgerufen am 24.11.2024.