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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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"Abscheulich ists, daß auch schon unsere Kin¬
der lesen und sitzen und den Steis zur Unterlage
und Basis ihrer Bildung machen sollen. Das be¬
lehrende Buch ersetzt ihnen den Lehrer nicht, das
belustigende das gesündere Spielen nicht; die
Poesie ist für ein unbärtiges Alter noch zu un¬
verständlich und ungesund; der Lehrer, der vor¬
lieset
, muß erbärmlich seyn, wenn er nicht weit
nachdrücklicher spricht. Kurz keine Kinderbü¬
cher!"

"In ein pädagogisches Stammbuch würden wir
beide schreiben: Vergeblich tadeln ist schlimmer als
gar nicht tadeln -- Fehler, die das Alter nimmt,
nehme der Lehrer nicht, der dauerhaftere zu be¬
kämpfen hat, u. s. w. Ihr Katechismus sei Plu¬
tarch und Feddersen (aber ohne seinen elenden
Styl); d. h. keine Moralen, sondern Erzählun¬
gen darnach -- und noch dazu in keiner besondern
Stunde, sondern zur rechten, damit der Kopf
meiner Kinder nicht ein Vokabelnsaal von Mo¬
ralen, sondern ihr Herz eine durchglühte Rotun¬
da der Tugend werde."

"Da der blöde, enge, ängstliche Anstand der
dümmste und unnatürlichste ist: so lehren Sie die

„Abſcheulich iſts, daß auch ſchon unſere Kin¬
der leſen und ſitzen und den Steis zur Unterlage
und Baſis ihrer Bildung machen ſollen. Das be¬
lehrende Buch erſetzt ihnen den Lehrer nicht, das
beluſtigende das geſuͤndere Spielen nicht; die
Poeſie iſt fuͤr ein unbaͤrtiges Alter noch zu un¬
verſtaͤndlich und ungeſund; der Lehrer, der vor¬
lieſet
, muß erbaͤrmlich ſeyn, wenn er nicht weit
nachdruͤcklicher ſpricht. Kurz keine Kinderbuͤ¬
cher!“

„In ein paͤdagogiſches Stammbuch wuͤrden wir
beide ſchreiben: Vergeblich tadeln iſt ſchlimmer als
gar nicht tadeln — Fehler, die das Alter nimmt,
nehme der Lehrer nicht, der dauerhaftere zu be¬
kaͤmpfen hat, u. ſ. w. Ihr Katechiſmus ſei Plu¬
tarch und Fedderſen (aber ohne ſeinen elenden
Styl); d. h. keine Moralen, ſondern Erzaͤhlun¬
gen darnach — und noch dazu in keiner beſondern
Stunde, ſondern zur rechten, damit der Kopf
meiner Kinder nicht ein Vokabelnſaal von Mo¬
ralen, ſondern ihr Herz eine durchgluͤhte Rotun¬
da der Tugend werde.“

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[183/0219] „Abſcheulich iſts, daß auch ſchon unſere Kin¬ der leſen und ſitzen und den Steis zur Unterlage und Baſis ihrer Bildung machen ſollen. Das be¬ lehrende Buch erſetzt ihnen den Lehrer nicht, das beluſtigende das geſuͤndere Spielen nicht; die Poeſie iſt fuͤr ein unbaͤrtiges Alter noch zu un¬ verſtaͤndlich und ungeſund; der Lehrer, der vor¬ lieſet, muß erbaͤrmlich ſeyn, wenn er nicht weit nachdruͤcklicher ſpricht. Kurz keine Kinderbuͤ¬ cher!“ „In ein paͤdagogiſches Stammbuch wuͤrden wir beide ſchreiben: Vergeblich tadeln iſt ſchlimmer als gar nicht tadeln — Fehler, die das Alter nimmt, nehme der Lehrer nicht, der dauerhaftere zu be¬ kaͤmpfen hat, u. ſ. w. Ihr Katechiſmus ſei Plu¬ tarch und Fedderſen (aber ohne ſeinen elenden Styl); d. h. keine Moralen, ſondern Erzaͤhlun¬ gen darnach — und noch dazu in keiner beſondern Stunde, ſondern zur rechten, damit der Kopf meiner Kinder nicht ein Vokabelnſaal von Mo¬ ralen, ſondern ihr Herz eine durchgluͤhte Rotun¬ da der Tugend werde.“ „Da der bloͤde, enge, aͤngſtliche Anſtand der duͤmmſte und unnatuͤrlichſte iſt: ſo lehren Sie die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/219>, abgerufen am 24.11.2024.