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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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das nicht wäre, sag' ich, so ist doch da wahrer
musikalischer Ausdruck im Ueberfluß: jeder drückt
darin seine Empfindungen, die der Verlegenheit,
des Erstarrens auf seinem Instrumente aus; und
Bachs Regel, Dissonanzen stark und Konsonan¬
zen schwach vorzutragen, weiß in einem Saale je¬
der, wo die Konsonanzen so sanft eingeschmolzen
werden, daß man keine hört und nur die Disso¬
nanzen zu vernehmen meint.

Am andern Morgen flog ich unfrisirt zum Ritt¬
meister und -- da ich den guten Kleinen um keinen
niedern Preiß erhalten konnte -- brachte ihn ganz
ans erste Ziel seiner Reise hinan, nämlich das, einen
Hofmeister mitzubekommen. Man muß nicht den¬
ken, daß ich Informator geworden, um Biograph
zu werden, d. h. um pfiffiger Weise in meinen Gu¬
stav alles hinein zu erziehen was ich aus ihm wie¬
der ins Buch herauszuschreiben trachtete: denn ich
brauchte es erstlich ja nur wie ein Romanen-Ma¬
nufakturist mir blos zu ersinnen und andern vorzu¬
lügen; aber zweitens damals wurde an keine Bio¬
graphie gar nicht gedacht.

Mir ist weit weniger daran gelegen, meine
Scheerauischen Verhältnisse bekannt zu sehen, als

K

das nicht waͤre, ſag' ich, ſo iſt doch da wahrer
muſikaliſcher Ausdruck im Ueberfluß: jeder druͤckt
darin ſeine Empfindungen, die der Verlegenheit,
des Erſtarrens auf ſeinem Inſtrumente aus; und
Bachs Regel, Diſſonanzen ſtark und Konſonan¬
zen ſchwach vorzutragen, weiß in einem Saale je¬
der, wo die Konſonanzen ſo ſanft eingeſchmolzen
werden, daß man keine hoͤrt und nur die Diſſo¬
nanzen zu vernehmen meint.

Am andern Morgen flog ich unfriſirt zum Ritt¬
meiſter und — da ich den guten Kleinen um keinen
niedern Preiß erhalten konnte — brachte ihn ganz
ans erſte Ziel ſeiner Reiſe hinan, naͤmlich das, einen
Hofmeiſter mitzubekommen. Man muß nicht den¬
ken, daß ich Informator geworden, um Biograph
zu werden, d. h. um pfiffiger Weiſe in meinen Gu¬
ſtav alles hinein zu erziehen was ich aus ihm wie¬
der ins Buch herauszuſchreiben trachtete: denn ich
brauchte es erſtlich ja nur wie ein Romanen-Ma¬
nufakturiſt mir blos zu erſinnen und andern vorzu¬
luͤgen; aber zweitens damals wurde an keine Bio¬
graphie gar nicht gedacht.

Mir iſt weit weniger daran gelegen, meine
Scheerauiſchen Verhaͤltniſſe bekannt zu ſehen, als

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[145/0181] das nicht waͤre, ſag' ich, ſo iſt doch da wahrer muſikaliſcher Ausdruck im Ueberfluß: jeder druͤckt darin ſeine Empfindungen, die der Verlegenheit, des Erſtarrens auf ſeinem Inſtrumente aus; und Bachs Regel, Diſſonanzen ſtark und Konſonan¬ zen ſchwach vorzutragen, weiß in einem Saale je¬ der, wo die Konſonanzen ſo ſanft eingeſchmolzen werden, daß man keine hoͤrt und nur die Diſſo¬ nanzen zu vernehmen meint. Am andern Morgen flog ich unfriſirt zum Ritt¬ meiſter und — da ich den guten Kleinen um keinen niedern Preiß erhalten konnte — brachte ihn ganz ans erſte Ziel ſeiner Reiſe hinan, naͤmlich das, einen Hofmeiſter mitzubekommen. Man muß nicht den¬ ken, daß ich Informator geworden, um Biograph zu werden, d. h. um pfiffiger Weiſe in meinen Gu¬ ſtav alles hinein zu erziehen was ich aus ihm wie¬ der ins Buch herauszuſchreiben trachtete: denn ich brauchte es erſtlich ja nur wie ein Romanen-Ma¬ nufakturiſt mir blos zu erſinnen und andern vorzu¬ luͤgen; aber zweitens damals wurde an keine Bio¬ graphie gar nicht gedacht. Mir iſt weit weniger daran gelegen, meine Scheerauiſchen Verhaͤltniſſe bekannt zu ſehen, als K

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/181>, abgerufen am 25.11.2024.