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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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vor Leipzig eine so reizende Queerbinde über der
Stirn und dem Auge eines Mädchens, daß ich
wünschte, meine Frau würde von Zeit zu Zeit dort¬
hin lädirt, weils nett ausfällt: hingegen Amandus
Bandage über zwei Augen machte ihn zu einem Kin¬
de des Jammers.

Da Amandus in besserer Einkleidung und mit
der traurigen Binde im Wagen saß: konnte Gustav
gar nicht zu weinen aufhören und wollte ihm seinen
Matz herauslangen und schenken: denn nicht die Grö¬
ße, sondern die Gestalt des Leidens bestimmt das Mit¬
leiden.

Wenige Menschen, die nach Scheerau fahren,
werden das närrische Glück haben, daß ihnen zwei
Stunden davor ein isolierter Magen ohne den Per¬
tinenz-Menschen aufstößet: Falkenberg und seine Leu¬
te und Pferde hatten dieses Glück. Es kam angefah¬
ren der Magen, das dünne und dicke Gedärm, die
Leber, worin die Fürsten ihre Galle sieden, die Lun¬
ge deren Luftbläschen die fürstliche Gallenblase sind
wie die Luftröhre der Gallengang derselben ist, und
das Herz; aber kein Leichnam kam mit: denn der
Leichnam, der regierender Herr von Scheerau war,
lag schon in der Erbgruft. Dieser Magen verdaute

soviel

vor Leipzig eine ſo reizende Queerbinde uͤber der
Stirn und dem Auge eines Maͤdchens, daß ich
wuͤnſchte, meine Frau wuͤrde von Zeit zu Zeit dort¬
hin laͤdirt, weils nett ausfaͤllt: hingegen Amandus
Bandage uͤber zwei Augen machte ihn zu einem Kin¬
de des Jammers.

Da Amandus in beſſerer Einkleidung und mit
der traurigen Binde im Wagen ſaß: konnte Guſtav
gar nicht zu weinen aufhoͤren und wollte ihm ſeinen
Matz herauslangen und ſchenken: denn nicht die Groͤ¬
ße, ſondern die Geſtalt des Leidens beſtimmt das Mit¬
leiden.

Wenige Menſchen, die nach Scheerau fahren,
werden das naͤrriſche Gluͤck haben, daß ihnen zwei
Stunden davor ein iſolierter Magen ohne den Per¬
tinenz-Menſchen aufſtoͤßet: Falkenberg und ſeine Leu¬
te und Pferde hatten dieſes Gluͤck. Es kam angefah¬
ren der Magen, das duͤnne und dicke Gedaͤrm, die
Leber, worin die Fuͤrſten ihre Galle ſieden, die Lun¬
ge deren Luftblaͤschen die fuͤrſtliche Gallenblaſe ſind
wie die Luftroͤhre der Gallengang derſelben iſt, und
das Herz; aber kein Leichnam kam mit: denn der
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lag ſchon in der Erbgruft. Dieſer Magen verdaute

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[112/0148] vor Leipzig eine ſo reizende Queerbinde uͤber der Stirn und dem Auge eines Maͤdchens, daß ich wuͤnſchte, meine Frau wuͤrde von Zeit zu Zeit dort¬ hin laͤdirt, weils nett ausfaͤllt: hingegen Amandus Bandage uͤber zwei Augen machte ihn zu einem Kin¬ de des Jammers. Da Amandus in beſſerer Einkleidung und mit der traurigen Binde im Wagen ſaß: konnte Guſtav gar nicht zu weinen aufhoͤren und wollte ihm ſeinen Matz herauslangen und ſchenken: denn nicht die Groͤ¬ ße, ſondern die Geſtalt des Leidens beſtimmt das Mit¬ leiden. Wenige Menſchen, die nach Scheerau fahren, werden das naͤrriſche Gluͤck haben, daß ihnen zwei Stunden davor ein iſolierter Magen ohne den Per¬ tinenz-Menſchen aufſtoͤßet: Falkenberg und ſeine Leu¬ te und Pferde hatten dieſes Gluͤck. Es kam angefah¬ ren der Magen, das duͤnne und dicke Gedaͤrm, die Leber, worin die Fuͤrſten ihre Galle ſieden, die Lun¬ ge deren Luftblaͤschen die fuͤrſtliche Gallenblaſe ſind wie die Luftroͤhre der Gallengang derſelben iſt, und das Herz; aber kein Leichnam kam mit: denn der Leichnam, der regierender Herr von Scheerau war, lag ſchon in der Erbgruft. Dieſer Magen verdaute ſoviel

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/148>, abgerufen am 24.11.2024.