auch grundloser ist und die weniger Vernunft annimmt, als der Ekel thut. Ein Beyspiel statt tausend! Wein, Alpenwasser, Likör, kurz nichts ist uns so rein, so einheimisch und so zugeartet, und bleibt Tage lang (was nichts Fremdes kann) so gern in unserm Munde als etwas, wovon der Besitzer, wenn es heraus wäre, keine halbe Theetasse trinken könnte -- Speichel. Ist dieß kein wahrer Unsinn, so ists auch vernünftig, wenn ich mei- nen trefflichen H. Kollegen Strykius verab- scheue aus Ekel, bloß weil er, obwol mir in Wissenschaft und Streben so verwandt und durch Freundschaft gewissermaßen ein Theil meines Innern, außer mir stände neben meinem Stuhle."
Darneben war wirklich der Brunnenarzt Strykius im Muthe des Wein-Deserts getre- ten, um vielleicht seinem Landesherrn von wei- tem zu zeigen, daß er weit entfernt von Neid gerade im innigsten Verständnisse mit dem ge- lehrten Manne stehe. Aber Katzenberger ver- säuerte ihm diesen Schein etwas; denn er kam
auch grundloſer iſt und die weniger Vernunft annimmt, als der Ekel thut. Ein Beyſpiel ſtatt tauſend! Wein, Alpenwaſſer, Likör, kurz nichts iſt uns ſo rein, ſo einheimiſch und ſo zugeartet, und bleibt Tage lang (was nichts Fremdes kann) ſo gern in unſerm Munde als etwas, wovon der Beſitzer, wenn es heraus waͤre, keine halbe Theetaſſe trinken koͤnnte — Speichel. Iſt dieß kein wahrer Unſinn, ſo iſts auch vernuͤnftig, wenn ich mei- nen trefflichen H. Kollegen Strykius verab- ſcheue aus Ekel, bloß weil er, obwol mir in Wiſſenſchaft und Streben ſo verwandt und durch Freundſchaft gewiſſermaßen ein Theil meines Innern, außer mir ſtaͤnde neben meinem Stuhle.”
Darneben war wirklich der Brunnenarzt Strykius im Muthe des Wein-Deſerts getre- ten, um vielleicht ſeinem Landesherrn von wei- tem zu zeigen, daß er weit entfernt von Neid gerade im innigſten Verſtaͤndniſſe mit dem ge- lehrten Manne ſtehe. Aber Katzenberger ver- ſaͤuerte ihm dieſen Schein etwas; denn er kam
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0080"n="74"/>
auch grundloſer iſt und die weniger Vernunft<lb/>
annimmt, als der Ekel thut. Ein Beyſpiel<lb/>ſtatt tauſend! Wein, Alpenwaſſer, Likör,<lb/>
kurz nichts iſt uns ſo rein, ſo einheimiſch und<lb/>ſo zugeartet, und bleibt Tage lang (was<lb/>
nichts Fremdes kann) ſo gern in unſerm<lb/>
Munde als etwas, wovon der Beſitzer, wenn<lb/>
es heraus waͤre, keine halbe Theetaſſe trinken<lb/>
koͤnnte — Speichel. Iſt dieß kein wahrer<lb/>
Unſinn, ſo iſts auch vernuͤnftig, wenn ich mei-<lb/>
nen trefflichen H. Kollegen Strykius verab-<lb/>ſcheue aus Ekel, bloß weil er, obwol mir in<lb/>
Wiſſenſchaft und Streben ſo verwandt und durch<lb/>
Freundſchaft gewiſſermaßen ein Theil meines<lb/>
Innern, außer mir ſtaͤnde neben meinem<lb/>
Stuhle.”</p><lb/><p>Darneben war wirklich der Brunnenarzt<lb/>
Strykius im Muthe des Wein-Deſerts getre-<lb/>
ten, um vielleicht ſeinem Landesherrn von wei-<lb/>
tem zu zeigen, daß er weit entfernt von Neid<lb/>
gerade im innigſten Verſtaͤndniſſe mit dem ge-<lb/>
lehrten Manne ſtehe. Aber Katzenberger ver-<lb/>ſaͤuerte ihm dieſen Schein etwas; denn er kam<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[74/0080]
auch grundloſer iſt und die weniger Vernunft
annimmt, als der Ekel thut. Ein Beyſpiel
ſtatt tauſend! Wein, Alpenwaſſer, Likör,
kurz nichts iſt uns ſo rein, ſo einheimiſch und
ſo zugeartet, und bleibt Tage lang (was
nichts Fremdes kann) ſo gern in unſerm
Munde als etwas, wovon der Beſitzer, wenn
es heraus waͤre, keine halbe Theetaſſe trinken
koͤnnte — Speichel. Iſt dieß kein wahrer
Unſinn, ſo iſts auch vernuͤnftig, wenn ich mei-
nen trefflichen H. Kollegen Strykius verab-
ſcheue aus Ekel, bloß weil er, obwol mir in
Wiſſenſchaft und Streben ſo verwandt und durch
Freundſchaft gewiſſermaßen ein Theil meines
Innern, außer mir ſtaͤnde neben meinem
Stuhle.”
Darneben war wirklich der Brunnenarzt
Strykius im Muthe des Wein-Deſerts getre-
ten, um vielleicht ſeinem Landesherrn von wei-
tem zu zeigen, daß er weit entfernt von Neid
gerade im innigſten Verſtaͤndniſſe mit dem ge-
lehrten Manne ſtehe. Aber Katzenberger ver-
ſaͤuerte ihm dieſen Schein etwas; denn er kam
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/80>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.