wir denken bey einem Genie, der Ehre unseres Geschlechts wegen, zuerst an die Frau, die der große Mann uns allen vorgezogen und die wir als die Gesandtin unseres Geschlechts an ihn abgeschickt. Auf seine Frau sind wir sogar neu- gieriger als auf seine Kinder, die er ja nur be- kommen und selten erzieht. Ob ich mich gleich einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da er sagte, an einem Poeten zögen wir den Knie- fall dem Sylbenfall vor, ein Paar Freiersfüsse sechs Versfüssen, Schäferstunden den Schäfer- liedern und wären gern die Hausehre einer Deutschlands Ehre: so hatt' er halb und halb Recht. -- Die dumme Mädchenfrage war näm- lich: ob der Dichter eine Braut habe. -- "We- nigstens bey meiner Abreise noch nicht." versetzte Nieß. -- "O ich wüßte, sagt' ich, nichts rührenderes, als eine Jungfrau mit dem am Traualtare stehen zu sehen, den sie im Namen einer Nachwelt belohnen soll; sie sollte mir meine heiligste Schwester seyn und ich wollte sie lieben wie mich." -- Wahrlich, Sie könnten's, sagt' er mit unnütz-feiner Mine.
wir denken bey einem Genie, der Ehre unſeres Geſchlechts wegen, zuerſt an die Frau, die der große Mann uns allen vorgezogen und die wir als die Geſandtin unſeres Geſchlechts an ihn abgeſchickt. Auf ſeine Frau ſind wir ſogar neu- gieriger als auf ſeine Kinder, die er ja nur be- kommen und ſelten erzieht. Ob ich mich gleich einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da er ſagte, an einem Poeten zoͤgen wir den Knie- fall dem Sylbenfall vor, ein Paar Freiersfuͤſſe ſechs Versfuͤſſen, Schaͤferſtunden den Schaͤfer- liedern und wären gern die Hausehre einer Deutſchlands Ehre: ſo hatt’ er halb und halb Recht. — Die dumme Maͤdchenfrage war naͤm- lich: ob der Dichter eine Braut habe. — „We- nigſtens bey meiner Abreiſe noch nicht.” verſetzte Nieß. — „O ich wuͤßte, ſagt’ ich, nichts ruͤhrenderes, als eine Jungfrau mit dem am Traualtare ſtehen zu ſehen, den ſie im Namen einer Nachwelt belohnen ſoll; ſie ſollte mir meine heiligſte Schweſter ſeyn und ich wollte ſie lieben wie mich.” — Wahrlich, Sie koͤnnten’s, ſagt’ er mit unnuͤtz-feiner Mine.
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wir denken bey einem Genie, der Ehre unſeres
Geſchlechts wegen, zuerſt an die Frau, die der
große Mann uns allen vorgezogen und die wir
als die Geſandtin unſeres Geſchlechts an ihn
abgeſchickt. Auf ſeine Frau ſind wir ſogar neu-
gieriger als auf ſeine Kinder, die er ja nur be-
kommen und ſelten erzieht. Ob ich mich gleich
einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da
er ſagte, an einem Poeten zoͤgen wir den Knie-
fall dem Sylbenfall vor, ein Paar Freiersfuͤſſe
ſechs Versfuͤſſen, Schaͤferſtunden den Schaͤfer-
liedern und wären gern die Hausehre einer
Deutſchlands Ehre: ſo hatt’ er halb und halb
Recht. — Die dumme Maͤdchenfrage war naͤm-
lich: ob der Dichter eine Braut habe. — „We-
nigſtens bey meiner Abreiſe noch nicht.” verſetzte
Nieß. — „O ich wuͤßte, ſagt’ ich, nichts
ruͤhrenderes, als eine Jungfrau mit dem am
Traualtare ſtehen zu ſehen, den ſie im Namen
einer Nachwelt belohnen ſoll; ſie ſollte mir meine
heiligſte Schweſter ſeyn und ich wollte ſie lieben
wie mich.” — Wahrlich, Sie koͤnnten’s, ſagt’
er mit unnuͤtz-feiner Mine.
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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/94>, abgerufen am 26.11.2024.
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