Bruders gegen Viktor ausgeschlagen: -- Nur die Pfarrerin war die Pfarrerin, nicht blos Ein Vater¬ land sondern Ein Liebesathem reihete ihr Herz an sein Herz und es war ihr unmöglich, auf ihn zu zürnen. Sie liebte ein Mädgen, wenn er's lobte; wäre sie ohne Mann gewesen: so würde sie entweder billetdoux-Stellerin oder billetdoux-Trägerin für ihn gewesen. -- So lieben Weiber: ohne Maaß! Oft hassen sie auch so. -- Dazu setzet nun mein Korrespondent noch, daß er aus dem Baddorfe ei¬ nen ganzen Zeugenrotul zum Beweise extrahiren könnte, daß die Pfarrerin nicht blos allemal sondern auch am heutigen Ventos- und Pluvios-Tage es mit ungeschminkter Fassung einer Christin auszuhal¬ ten und zu erleben vermochte, wenn eine etwas fal¬ len ließ, eine Tasse oder ein Wort. Zu so etwas -- zur Apathie gegen einen gegenwärtigen gänzlichen Verlust einer Terrine, eines Spühlnapfes, einer compotiere -- ist vielleicht eben so viel Gesundheit als Vernunft von nöthen.
-- Endlich trat abends der Hofjunker ein und sagte, Flamin sey noch im Garten. Viktor nahm es auf als wär' es ihm gesagt und ging hinaus und trug sein beklommenes Herz einer andern bangen entgegen. Flamin fand er in einer überlaubten Ecke hinaufstarrend mit den Augen zum Wachsbilde des verstossenen Geliebten, Viktors Herz ging wie zwi¬
Bruders gegen Viktor ausgeſchlagen: — Nur die Pfarrerin war die Pfarrerin, nicht blos Ein Vater¬ land ſondern Ein Liebesathem reihete ihr Herz an ſein Herz und es war ihr unmoͤglich, auf ihn zu zuͤrnen. Sie liebte ein Maͤdgen, wenn er's lobte; waͤre ſie ohne Mann geweſen: ſo wuͤrde ſie entweder billetdoux-Stellerin oder billetdoux-Traͤgerin fuͤr ihn geweſen. — So lieben Weiber: ohne Maaß! Oft haſſen ſie auch ſo. — Dazu ſetzet nun mein Korreſpondent noch, daß er aus dem Baddorfe ei¬ nen ganzen Zeugenrotul zum Beweiſe extrahiren koͤnnte, daß die Pfarrerin nicht blos allemal ſondern auch am heutigen Ventos- und Pluvios-Tage es mit ungeſchminkter Faſſung einer Chriſtin auszuhal¬ ten und zu erleben vermochte, wenn eine etwas fal¬ len ließ, eine Taſſe oder ein Wort. Zu ſo etwas — zur Apathie gegen einen gegenwaͤrtigen gaͤnzlichen Verluſt einer Terrine, eines Spuͤhlnapfes, einer compotiére — iſt vielleicht eben ſo viel Geſundheit als Vernunft von noͤthen.
— Endlich trat abends der Hofjunker ein und ſagte, Flamin ſey noch im Garten. Viktor nahm es auf als waͤr' es ihm geſagt und ging hinaus und trug ſein beklommenes Herz einer andern bangen entgegen. Flamin fand er in einer uͤberlaubten Ecke hinaufſtarrend mit den Augen zum Wachsbilde des verſtoſſenen Geliebten, Viktors Herz ging wie zwi¬
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Bruders gegen Viktor ausgeſchlagen: — Nur die
Pfarrerin war die Pfarrerin, nicht blos Ein Vater¬
land ſondern Ein Liebesathem reihete ihr Herz an
ſein Herz und es war ihr unmoͤglich, auf ihn zu
zuͤrnen. Sie liebte ein Maͤdgen, wenn er's lobte;
waͤre ſie ohne Mann geweſen: ſo wuͤrde ſie entweder
billetdoux-Stellerin oder billetdoux-Traͤgerin fuͤr
ihn geweſen. — So lieben Weiber: ohne Maaß!
Oft haſſen ſie auch ſo. — Dazu ſetzet nun mein
Korreſpondent noch, daß er aus dem Baddorfe ei¬
nen ganzen Zeugenrotul zum Beweiſe extrahiren
koͤnnte, daß die Pfarrerin nicht blos allemal ſondern
auch am heutigen Ventos- und Pluvios-Tage es
mit ungeſchminkter Faſſung einer Chriſtin auszuhal¬
ten und zu erleben vermochte, wenn eine etwas fal¬
len ließ, eine Taſſe oder ein Wort. Zu ſo etwas
— zur Apathie gegen einen gegenwaͤrtigen gaͤnzlichen
Verluſt einer Terrine, eines Spuͤhlnapfes, einer
compotiére — iſt vielleicht eben ſo viel Geſundheit
als Vernunft von noͤthen.
— Endlich trat abends der Hofjunker ein und
ſagte, Flamin ſey noch im Garten. Viktor nahm
es auf als waͤr' es ihm geſagt und ging hinaus und
trug ſein beklommenes Herz einer andern bangen
entgegen. Flamin fand er in einer uͤberlaubten Ecke
hinaufſtarrend mit den Augen zum Wachsbilde des
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/98>, abgerufen am 23.11.2024.
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