rende Kontrast des Morgen-Getümmels mit der Nacht-Pause, des Sonnenfeuers mit der Monds- Epiktetslampe, und die mit der Ermüdung der Phan¬ tasie und des Körpers verknüpfte träumende Ermat¬ tung der Schlaflosigkeit, alle diese Dinge drückten aus dem Herzen und Thränendrüsen unsers weichen Nachtwandlers unwillkührliche, süße, strömende Thrä¬ nen aus, die keinen Gegenstand betrafen die weder vor Freude noch Kummer flossen, sondern vor Sehnsucht.
Auf einmal ließ der schöne nebellose erste Maitag das Andenken an den vorjährigen, wo er wie ein Frühling und homerischer Gott, im Nebel ankam, vorübergehen -- und der gute Mensch schauete mit den Thautropfen in den Augen die Thautropfen in den Blumen an und sagte unaussprechlich gerührt: "ach vor einem Jahre kam ich so glücklich, wurde "so unglücklich, und bin wieder so glücklich -- o "ihr fliehenden, spielenden, nachtönenden, zitternden "Jahre des Menschen!" -- und das Feiertags-Ge¬ läute aus allen Dörfern (es war Philippi Jakobi) setzte mit dem sanften Beben eines Echo alle seine Trauersaiten in ein weiteres Zittern.
"O vor einem Jahre (tönten ihn die Glocken an) begleiteten wir Giulia wie dich, aus Maienthal her¬ aus." Dann zog vor der Sonne, die am Himmel ihre weissen Blüten aufschlug, der warme Gedanke
rende Kontraſt des Morgen-Getuͤmmels mit der Nacht-Pauſe, des Sonnenfeuers mit der Monds- Epiktetslampe, und die mit der Ermuͤdung der Phan¬ taſie und des Koͤrpers verknuͤpfte traͤumende Ermat¬ tung der Schlafloſigkeit, alle dieſe Dinge druͤckten aus dem Herzen und Thraͤnendruͤſen unſers weichen Nachtwandlers unwillkuͤhrliche, ſuͤße, ſtroͤmende Thraͤ¬ nen aus, die keinen Gegenſtand betrafen die weder vor Freude noch Kummer floſſen, ſondern vor Sehnſucht.
Auf einmal ließ der ſchoͤne nebelloſe erſte Maitag das Andenken an den vorjaͤhrigen, wo er wie ein Fruͤhling und homeriſcher Gott, im Nebel ankam, voruͤbergehen — und der gute Menſch ſchauete mit den Thautropfen in den Augen die Thautropfen in den Blumen an und ſagte unausſprechlich geruͤhrt: »ach vor einem Jahre kam ich ſo gluͤcklich, wurde »ſo ungluͤcklich, und bin wieder ſo gluͤcklich — o »ihr fliehenden, ſpielenden, nachtoͤnenden, zitternden »Jahre des Menſchen!« — und das Feiertags-Ge¬ laͤute aus allen Doͤrfern (es war Philippi Jakobi) ſetzte mit dem ſanften Beben eines Echo alle ſeine Trauerſaiten in ein weiteres Zittern.
»O vor einem Jahre (toͤnten ihn die Glocken an) begleiteten wir Giulia wie dich, aus Maienthal her¬ aus.« Dann zog vor der Sonne, die am Himmel ihre weiſſen Bluͤten aufſchlug, der warme Gedanke
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0080"n="70"/>
rende Kontraſt des Morgen-Getuͤmmels mit der<lb/>
Nacht-Pauſe, des Sonnenfeuers mit der Monds-<lb/>
Epiktetslampe, und die mit der Ermuͤdung der Phan¬<lb/>
taſie und des Koͤrpers verknuͤpfte traͤumende Ermat¬<lb/>
tung der Schlafloſigkeit, alle dieſe Dinge druͤckten<lb/>
aus dem Herzen und Thraͤnendruͤſen unſers weichen<lb/>
Nachtwandlers unwillkuͤhrliche, ſuͤße, ſtroͤmende Thraͤ¬<lb/>
nen aus, die keinen Gegenſtand betrafen die weder<lb/>
vor Freude noch Kummer floſſen, ſondern vor<lb/>
Sehnſucht.</p><lb/><p>Auf einmal ließ der ſchoͤne nebelloſe erſte Maitag<lb/>
das Andenken an den vorjaͤhrigen, wo er wie ein<lb/>
Fruͤhling und homeriſcher Gott, im Nebel ankam,<lb/>
voruͤbergehen — und der gute Menſch ſchauete mit<lb/>
den Thautropfen in den Augen die Thautropfen in<lb/>
den Blumen an und ſagte unausſprechlich geruͤhrt:<lb/>
»ach vor einem Jahre kam ich ſo gluͤcklich, wurde<lb/>
»ſo ungluͤcklich, und bin wieder ſo gluͤcklich — o<lb/>
»ihr fliehenden, ſpielenden, nachtoͤnenden, zitternden<lb/>
»Jahre des Menſchen!« — und das Feiertags-Ge¬<lb/>
laͤute aus allen Doͤrfern (es war Philippi Jakobi)<lb/>ſetzte mit dem ſanften Beben eines Echo alle ſeine<lb/>
Trauerſaiten in ein weiteres Zittern.</p><lb/><p>»O vor einem Jahre (toͤnten ihn die Glocken an)<lb/>
begleiteten wir Giulia wie dich, aus Maienthal her¬<lb/>
aus.« Dann zog vor der Sonne, die am Himmel<lb/>
ihre weiſſen Bluͤten aufſchlug, der warme Gedanke<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[70/0080]
rende Kontraſt des Morgen-Getuͤmmels mit der
Nacht-Pauſe, des Sonnenfeuers mit der Monds-
Epiktetslampe, und die mit der Ermuͤdung der Phan¬
taſie und des Koͤrpers verknuͤpfte traͤumende Ermat¬
tung der Schlafloſigkeit, alle dieſe Dinge druͤckten
aus dem Herzen und Thraͤnendruͤſen unſers weichen
Nachtwandlers unwillkuͤhrliche, ſuͤße, ſtroͤmende Thraͤ¬
nen aus, die keinen Gegenſtand betrafen die weder
vor Freude noch Kummer floſſen, ſondern vor
Sehnſucht.
Auf einmal ließ der ſchoͤne nebelloſe erſte Maitag
das Andenken an den vorjaͤhrigen, wo er wie ein
Fruͤhling und homeriſcher Gott, im Nebel ankam,
voruͤbergehen — und der gute Menſch ſchauete mit
den Thautropfen in den Augen die Thautropfen in
den Blumen an und ſagte unausſprechlich geruͤhrt:
»ach vor einem Jahre kam ich ſo gluͤcklich, wurde
»ſo ungluͤcklich, und bin wieder ſo gluͤcklich — o
»ihr fliehenden, ſpielenden, nachtoͤnenden, zitternden
»Jahre des Menſchen!« — und das Feiertags-Ge¬
laͤute aus allen Doͤrfern (es war Philippi Jakobi)
ſetzte mit dem ſanften Beben eines Echo alle ſeine
Trauerſaiten in ein weiteres Zittern.
»O vor einem Jahre (toͤnten ihn die Glocken an)
begleiteten wir Giulia wie dich, aus Maienthal her¬
aus.« Dann zog vor der Sonne, die am Himmel
ihre weiſſen Bluͤten aufſchlug, der warme Gedanke
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/80>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.