Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬
ken und behalten, was wir sahen, es waren unfa߬
liche Gestalten und Farbenspiele, sie schienen nahe,
schienen fern, schienen mitten in unsern Gedanken zu
seyn -- Wölkgen aus der Erde aufziehend schwebten
um die glühende Ewigkeit und jede hob einen auf
ihr stehenden singenden Menschen hinauf zu dieser
Lichtinsel, die sich gegen die Erde spaltete bloß mit
einer unabsehlichen Allee von weißen Bäumen, aus
Licht und Schnee gegossen und statt Blüten Purpur¬
blumen treibend -- Und wir sahen unsere drei Schat¬
ten erhaben an den lichtweissen Hain hinübergewor¬
fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die
Purpurblumen wie Kränze nieder -- ein Engel um¬
flog den holden Schatten und lächelte ihn zärtlich
an und berührte an ihm die Stelle des Herzens --
Da erbebtest du plötzlich, Klotilde, wandtest dich um
gegen uns, schöner als der Engel in der Ewigkeit,
dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thrä¬
nen und wurde durchsichtig -- Und als deine nieder¬
sinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende
Wolke auflöseten: reichtest du uns eilig die Hand
und sagtest: die Wolke hebt, wir sehen uns wieder
-- Ach mein zerflossenes Herz faßte sein Blut nicht
mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts sagen,
ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬
schmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen

lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬
ken und behalten, was wir ſahen, es waren unfa߬
liche Geſtalten und Farbenſpiele, ſie ſchienen nahe,
ſchienen fern, ſchienen mitten in unſern Gedanken zu
ſeyn — Woͤlkgen aus der Erde aufziehend ſchwebten
um die gluͤhende Ewigkeit und jede hob einen auf
ihr ſtehenden ſingenden Menſchen hinauf zu dieſer
Lichtinſel, die ſich gegen die Erde ſpaltete bloß mit
einer unabſehlichen Allee von weißen Baͤumen, aus
Licht und Schnee gegoſſen und ſtatt Bluͤten Purpur¬
blumen treibend — Und wir ſahen unſere drei Schat¬
ten erhaben an den lichtweiſſen Hain hinuͤbergewor¬
fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die
Purpurblumen wie Kraͤnze nieder — ein Engel um¬
flog den holden Schatten und laͤchelte ihn zaͤrtlich
an und beruͤhrte an ihm die Stelle des Herzens —
Da erbebteſt du ploͤtzlich, Klotilde, wandteſt dich um
gegen uns, ſchoͤner als der Engel in der Ewigkeit,
dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thraͤ¬
nen und wurde durchſichtig — Und als deine nieder¬
ſinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende
Wolke aufloͤſeten: reichteſt du uns eilig die Hand
und ſagteſt: die Wolke hebt, wir ſehen uns wieder
— Ach mein zerfloſſenes Herz faßte ſein Blut nicht
mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts ſagen,
ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬
ſchmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0053" n="43"/>
lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬<lb/>
ken und behalten, was wir &#x017F;ahen, es waren unfa߬<lb/>
liche Ge&#x017F;talten und Farben&#x017F;piele, &#x017F;ie &#x017F;chienen nahe,<lb/>
&#x017F;chienen fern, &#x017F;chienen mitten in un&#x017F;ern Gedanken zu<lb/>
&#x017F;eyn &#x2014; Wo&#x0364;lkgen aus der Erde aufziehend &#x017F;chwebten<lb/>
um die glu&#x0364;hende Ewigkeit und jede hob einen auf<lb/>
ihr &#x017F;tehenden &#x017F;ingenden Men&#x017F;chen hinauf zu die&#x017F;er<lb/>
Lichtin&#x017F;el, die &#x017F;ich gegen die Erde &#x017F;paltete bloß mit<lb/>
einer unab&#x017F;ehlichen Allee von weißen Ba&#x0364;umen, aus<lb/>
Licht und Schnee gego&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;tatt Blu&#x0364;ten Purpur¬<lb/>
blumen treibend &#x2014; Und wir &#x017F;ahen un&#x017F;ere drei Schat¬<lb/>
ten erhaben an den lichtwei&#x017F;&#x017F;en Hain hinu&#x0364;bergewor¬<lb/>
fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die<lb/>
Purpurblumen wie Kra&#x0364;nze nieder &#x2014; ein Engel um¬<lb/>
flog den holden Schatten und la&#x0364;chelte ihn za&#x0364;rtlich<lb/>
an und beru&#x0364;hrte an ihm die Stelle des Herzens &#x2014;<lb/>
Da erbebte&#x017F;t du plo&#x0364;tzlich, Klotilde, wandte&#x017F;t dich um<lb/>
gegen uns, &#x017F;cho&#x0364;ner als der Engel in der Ewigkeit,<lb/>
dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thra&#x0364;¬<lb/>
nen und wurde durch&#x017F;ichtig &#x2014; Und als deine nieder¬<lb/>
&#x017F;inkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende<lb/>
Wolke auflo&#x0364;&#x017F;eten: reichte&#x017F;t du uns eilig die Hand<lb/>
und &#x017F;agte&#x017F;t: die Wolke hebt, wir &#x017F;ehen uns wieder<lb/>
&#x2014; Ach mein zerflo&#x017F;&#x017F;enes Herz faßte &#x017F;ein Blut nicht<lb/>
mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts &#x017F;agen,<lb/>
ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬<lb/>
&#x017F;chmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0053] lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬ ken und behalten, was wir ſahen, es waren unfa߬ liche Geſtalten und Farbenſpiele, ſie ſchienen nahe, ſchienen fern, ſchienen mitten in unſern Gedanken zu ſeyn — Woͤlkgen aus der Erde aufziehend ſchwebten um die gluͤhende Ewigkeit und jede hob einen auf ihr ſtehenden ſingenden Menſchen hinauf zu dieſer Lichtinſel, die ſich gegen die Erde ſpaltete bloß mit einer unabſehlichen Allee von weißen Baͤumen, aus Licht und Schnee gegoſſen und ſtatt Bluͤten Purpur¬ blumen treibend — Und wir ſahen unſere drei Schat¬ ten erhaben an den lichtweiſſen Hain hinuͤbergewor¬ fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die Purpurblumen wie Kraͤnze nieder — ein Engel um¬ flog den holden Schatten und laͤchelte ihn zaͤrtlich an und beruͤhrte an ihm die Stelle des Herzens — Da erbebteſt du ploͤtzlich, Klotilde, wandteſt dich um gegen uns, ſchoͤner als der Engel in der Ewigkeit, dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thraͤ¬ nen und wurde durchſichtig — Und als deine nieder¬ ſinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende Wolke aufloͤſeten: reichteſt du uns eilig die Hand und ſagteſt: die Wolke hebt, wir ſehen uns wieder — Ach mein zerfloſſenes Herz faßte ſein Blut nicht mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts ſagen, ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬ ſchmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/53
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/53>, abgerufen am 22.11.2024.