thig genug zur Weisheit -- Aber eine Spiegelwand seines Systems, ein lebendiger Zaun seines Pa¬ radises, die ihn beide nicht ins Unendliche se¬ hen oder laufen lassen, sprengen ihn sofort auf die entgegen gesetzte Seite zurück, die ihn mit neuen Geländern empfängt und neuen Schranken zuwirft. . . . Jetzt, da ich so verschiedene Zustände durchlau¬ fen, leidenschaftliche, weise, tolle, ästhetische, stoi¬ sche; -- da ich sehe, daß der vollkommenste entwe¬ der meine irrdischen Wurzeln in der Erde oder meine Zweige im Aether verbiege und einklemme und daß er, wenn er's auch nicht thäte, doch über keine Stunde dauern könnte, geschweige ein Leben; -- da ich also klar einsehe, daß wir ein Bruch, aber keine Einheit sind und daß alles Rechnen und Ver¬ kleinern am Bruche nur Approximiren zwischen Zäh¬ ler und Nenner ist, Verwandeln des in ; so sag' ich: "meinet wegen! die Weisheit sey also "für mich bloß Auffinden und Ertragen der "kleinsten Lücke im Wissen, Freuen und Thun." Ich lasse mich daher nicht mehr irre machen -- und meinen Nachbar auch nicht mehr -- durch die ge¬ wöhnlichste Täuschung, daß der Mensch jede Verän¬ derung an sich, -- jede Verbesserung ohnehin, aber auch sogar jede Verschlimmerung -- für größer an¬ sieht als sie hinterher ist. --
thig genug zur Weisheit — Aber eine Spiegelwand ſeines Syſtems, ein lebendiger Zaun ſeines Pa¬ radiſes, die ihn beide nicht ins Unendliche ſe¬ hen oder laufen laſſen, ſprengen ihn ſofort auf die entgegen geſetzte Seite zuruͤck, die ihn mit neuen Gelaͤndern empfaͤngt und neuen Schranken zuwirft. . . . Jetzt, da ich ſo verſchiedene Zuſtaͤnde durchlau¬ fen, leidenſchaftliche, weiſe, tolle, aͤſthetiſche, ſtoi¬ ſche; — da ich ſehe, daß der vollkommenſte entwe¬ der meine irrdiſchen Wurzeln in der Erde oder meine Zweige im Aether verbiege und einklemme und daß er, wenn er's auch nicht thaͤte, doch uͤber keine Stunde dauern koͤnnte, geſchweige ein Leben; — da ich alſo klar einſehe, daß wir ein Bruch, aber keine Einheit ſind und daß alles Rechnen und Ver¬ kleinern am Bruche nur Approximiren zwiſchen Zaͤh¬ ler und Nenner iſt, Verwandeln des in ; ſo ſag' ich: »meinet wegen! die Weisheit ſey alſo »fuͤr mich bloß Auffinden und Ertragen der »kleinſten Luͤcke im Wiſſen, Freuen und Thun.« Ich laſſe mich daher nicht mehr irre machen — und meinen Nachbar auch nicht mehr — durch die ge¬ woͤhnlichſte Taͤuſchung, daß der Menſch jede Veraͤn¬ derung an ſich, — jede Verbeſſerung ohnehin, aber auch ſogar jede Verſchlimmerung — fuͤr groͤßer an¬ ſieht als ſie hinterher iſt. —
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thig genug zur Weisheit — Aber eine Spiegelwand
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radiſes, die ihn beide nicht ins Unendliche ſe¬
hen oder laufen laſſen, ſprengen ihn ſofort auf die
entgegen geſetzte Seite zuruͤck, die ihn mit neuen
Gelaͤndern empfaͤngt und neuen Schranken zuwirft.
. . . Jetzt, da ich ſo verſchiedene Zuſtaͤnde durchlau¬
fen, leidenſchaftliche, weiſe, tolle, aͤſthetiſche, ſtoi¬
ſche; — da ich ſehe, daß der vollkommenſte entwe¬
der meine irrdiſchen Wurzeln in der Erde oder
meine Zweige im Aether verbiege und einklemme
und daß er, wenn er's auch nicht thaͤte, doch uͤber
keine Stunde dauern koͤnnte, geſchweige ein Leben;
— da ich alſo klar einſehe, daß wir ein Bruch, aber
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ler und Nenner iſt, Verwandeln des [FORMEL] in [FORMEL];
ſo ſag' ich: »meinet wegen! die Weisheit ſey alſo
»fuͤr mich bloß Auffinden und Ertragen der
»kleinſten Luͤcke im Wiſſen, Freuen und Thun.«
Ich laſſe mich daher nicht mehr irre machen — und
meinen Nachbar auch nicht mehr — durch die ge¬
woͤhnlichſte Taͤuſchung, daß der Menſch jede Veraͤn¬
derung an ſich, — jede Verbeſſerung ohnehin, aber
auch ſogar jede Verſchlimmerung — fuͤr groͤßer an¬
ſieht als ſie hinterher iſt. —
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/47>, abgerufen am 24.11.2024.
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