Da schlug der von allen Wäldern nachgelallte Knall eines Schusses durch die stille Nacht -- und die Insel der Vereinigung schwamm im Nachtblau auf und ihr weißer Tempel hieng über ihr -- und neben dem Trauergebüsch, das über das Zerfallen eines jungen Herzens hinüberwuchs, schossen gen Himmel neun schmale Flammen, die an den neun Flören aufliefen, gleichsam Freudenfeuer zu einem Friedensfeste.
Bleich, eilend, seufzend, schweigend berührten wir das erste Ufer der Insel. Das Wasser war vom Boden trocken eingesogen. Das schwarze Morgen¬ thor hatte sich weit aufgerissen und seine weiße Far¬ bensonne an Bäume gelehnt und verdeckt. Viele Leichenfackeln auf weißen Gueridons knüpften sich ans Morgenthor an, giengen den langen grünen Weg hinein, flimmerten über Ruinen, Sphinxe und Marmortorso's und endigten sich dunkel im Trauer¬ gebüsch.
Flatterndes Getöne der Aeolsharfen wurde am Eingang von langen Tönen durchzogen. Unter dem Morgenthor ruhte still der Blinde und spielte froh auf seiner Flöte -- so wie eine Taube in den Don¬ ner fliegt.
Er fiel freudig an seinen Viktor und sagte: "es "ist gut, daß du kömmst; ein stiller langer Mann "hat sich eine halbe Viertelstunde an mein Herz ge¬
Da ſchlug der von allen Waͤldern nachgelallte Knall eines Schuſſes durch die ſtille Nacht — und die Inſel der Vereinigung ſchwamm im Nachtblau auf und ihr weißer Tempel hieng uͤber ihr — und neben dem Trauergebuͤſch, das uͤber das Zerfallen eines jungen Herzens hinuͤberwuchs, ſchoſſen gen Himmel neun ſchmale Flammen, die an den neun Floͤren aufliefen, gleichſam Freudenfeuer zu einem Friedensfeſte.
Bleich, eilend, ſeufzend, ſchweigend beruͤhrten wir das erſte Ufer der Inſel. Das Waſſer war vom Boden trocken eingeſogen. Das ſchwarze Morgen¬ thor hatte ſich weit aufgeriſſen und ſeine weiße Far¬ benſonne an Baͤume gelehnt und verdeckt. Viele Leichenfackeln auf weißen Gueridons knuͤpften ſich ans Morgenthor an, giengen den langen gruͤnen Weg hinein, flimmerten uͤber Ruinen, Sphinxe und Marmortorſo's und endigten ſich dunkel im Trauer¬ gebuͤſch.
Flatterndes Getoͤne der Aeolsharfen wurde am Eingang von langen Toͤnen durchzogen. Unter dem Morgenthor ruhte ſtill der Blinde und ſpielte froh auf ſeiner Floͤte — ſo wie eine Taube in den Don¬ ner fliegt.
Er fiel freudig an ſeinen Viktor und ſagte: »es »iſt gut, daß du koͤmmſt; ein ſtiller langer Mann »hat ſich eine halbe Viertelſtunde an mein Herz ge¬
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Da ſchlug der von allen Waͤldern nachgelallte
Knall eines Schuſſes durch die ſtille Nacht — und
die Inſel der Vereinigung ſchwamm im Nachtblau
auf und ihr weißer Tempel hieng uͤber ihr — und
neben dem Trauergebuͤſch, das uͤber das Zerfallen
eines jungen Herzens hinuͤberwuchs, ſchoſſen gen
Himmel neun ſchmale Flammen, die an den neun
Floͤren aufliefen, gleichſam Freudenfeuer zu einem
Friedensfeſte.
Bleich, eilend, ſeufzend, ſchweigend beruͤhrten wir
das erſte Ufer der Inſel. Das Waſſer war vom
Boden trocken eingeſogen. Das ſchwarze Morgen¬
thor hatte ſich weit aufgeriſſen und ſeine weiße Far¬
benſonne an Baͤume gelehnt und verdeckt. Viele
Leichenfackeln auf weißen Gueridons knuͤpften ſich
ans Morgenthor an, giengen den langen gruͤnen
Weg hinein, flimmerten uͤber Ruinen, Sphinxe und
Marmortorſo's und endigten ſich dunkel im Trauer¬
gebuͤſch.
Flatterndes Getoͤne der Aeolsharfen wurde am
Eingang von langen Toͤnen durchzogen. Unter dem
Morgenthor ruhte ſtill der Blinde und ſpielte froh
auf ſeiner Floͤte — ſo wie eine Taube in den Don¬
ner fliegt.
Er fiel freudig an ſeinen Viktor und ſagte: »es
»iſt gut, daß du koͤmmſt; ein ſtiller langer Mann
»hat ſich eine halbe Viertelſtunde an mein Herz ge¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/453>, abgerufen am 24.11.2024.
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