Nachtschmetterlinge, der Gaukler in künftigen Früh¬ lingsnächten und über den festen unterirdischen Win¬ terschlaf fuhren die einsamen Nachtwinde -- ach der Mensch muste wol denken: "Lüfte, kommt ihr nicht über Gräber her, über theure, theure Grä¬ ber? --
Ich sagte: wie schmal ist der blasgrüne Zwischen¬ raum von Erde zwischen Menschenleibern und Men¬ schengerippen. -- Viktor sagte: ach die Natur ruht so viel, und warum unser Herz so wenig?
Es war gegen Mitternacht. Der Himmel blinkte näher an der Erde, der Schwan, die Leier, der Herkules*) schimmerten untergesunken durch ein anderes Himmelblau. Großer Himmel -- sagte je¬ des Herz -- gehörest du für den Menschengeist, nimmst du ihn einmal auf, oder gleichst du nur dem Deckengemälde eines Dohms, das die gemauerten Schranken verbirgt und mit Farben die Aussicht in einen Himmel aufthut, der nicht ist? -- Ach jede Gegenwart macht uner Seele klein und eine Zu¬ kunft nur macht sie groß.
Viktor war außer sich und sagte wieder: "Ruhe! "dich geben weder die Freude noch der Schmerz, "sondern nur die Hofnung. Warum ruht nicht alles "in uns wie um uns?"
*) Der Schwan ist die Giulia, die Leier des Apollo Ema¬ nuel u. s. w.
Nachtſchmetterlinge, der Gaukler in kuͤnftigen Fruͤh¬ lingsnaͤchten und uͤber den feſten unterirdiſchen Win¬ terſchlaf fuhren die einſamen Nachtwinde — ach der Menſch muſte wol denken: »Luͤfte, kommt ihr nicht uͤber Graͤber her, uͤber theure, theure Graͤ¬ ber? —
Ich ſagte: wie ſchmal iſt der blasgruͤne Zwiſchen¬ raum von Erde zwiſchen Menſchenleibern und Men¬ ſchengerippen. — Viktor ſagte: ach die Natur ruht ſo viel, und warum unſer Herz ſo wenig?
Es war gegen Mitternacht. Der Himmel blinkte naͤher an der Erde, der Schwan, die Leier, der Herkules*) ſchimmerten untergeſunken durch ein anderes Himmelblau. Großer Himmel — ſagte je¬ des Herz — gehoͤreſt du fuͤr den Menſchengeiſt, nimmſt du ihn einmal auf, oder gleichſt du nur dem Deckengemaͤlde eines Dohms, das die gemauerten Schranken verbirgt und mit Farben die Ausſicht in einen Himmel aufthut, der nicht iſt? — Ach jede Gegenwart macht uner Seele klein und eine Zu¬ kunft nur macht ſie groß.
Viktor war außer ſich und ſagte wieder: »Ruhe! »dich geben weder die Freude noch der Schmerz, »ſondern nur die Hofnung. Warum ruht nicht alles »in uns wie um uns?»
*) Der Schwan iſt die Giulia, die Leier des Apollo Ema¬ nuel u. ſ. w.
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Nachtſchmetterlinge, der Gaukler in kuͤnftigen Fruͤh¬
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terſchlaf fuhren die einſamen Nachtwinde — ach der
Menſch muſte wol denken: »Luͤfte, kommt ihr nicht
uͤber Graͤber her, uͤber theure, theure Graͤ¬
ber? —
Ich ſagte: wie ſchmal iſt der blasgruͤne Zwiſchen¬
raum von Erde zwiſchen Menſchenleibern und Men¬
ſchengerippen. — Viktor ſagte: ach die Natur ruht
ſo viel, und warum unſer Herz ſo wenig?
Es war gegen Mitternacht. Der Himmel blinkte
naͤher an der Erde, der Schwan, die Leier, der
Herkules *) ſchimmerten untergeſunken durch ein
anderes Himmelblau. Großer Himmel — ſagte je¬
des Herz — gehoͤreſt du fuͤr den Menſchengeiſt,
nimmſt du ihn einmal auf, oder gleichſt du nur dem
Deckengemaͤlde eines Dohms, das die gemauerten
Schranken verbirgt und mit Farben die Ausſicht in
einen Himmel aufthut, der nicht iſt? — Ach jede
Gegenwart macht uner Seele klein und eine Zu¬
kunft nur macht ſie groß.
Viktor war außer ſich und ſagte wieder: »Ruhe!
»dich geben weder die Freude noch der Schmerz,
»ſondern nur die Hofnung. Warum ruht nicht alles
»in uns wie um uns?»
*) Der Schwan iſt die Giulia, die Leier des Apollo Ema¬
nuel u. ſ. w.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/452>, abgerufen am 24.11.2024.
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