Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

weisser Fußboden die Gipfel taumelnder Pappeln
umzingelten -- und die Gipfel von Eichen und Ka¬
stanien liefen nur wie Fruchthecken und Geländer¬
bäume wallend um den hohen Tempel und reichten
dem Menschen darin nur bis an das Herz. --

Ich muß ja diese wühlende Gipfelsaat kennen,
sagt' ich, -- dort hängen Trauerbirken die Arme --
da draussen knieen Stämme vor dem Donner, der sie
getroffen -- flattern nicht 9 Flöre und zerstäubte
Fontainen in gefleckten Zweigen durch einander --
und die Gewitter haben hier ihre fünf eisernen
Szepter (Gewitterableiter) in die Erde gepflanzt. --
Das ist doch gewiß ein Traum von der Insel der
Vereinigung
, die so oft bisher den Nebel
des Schlafs mit Strahlen durchschnitten und
himmlisch und ziehend meine Seele angeschimmert
hat. -- --

Es war kein Traum. Ich stand von der Stufe
auf und wollte in den griechischen durchhellten Tem¬
pel, der bloß aus einem griechischen Dache und fünf
Säulen und der ganzen um ihn gelagerten Erde be¬
stand, eintreten, als mich acht Arme umfaßten und
vier Stimmen anredeten: "Bruder! -- wir sind
deine Brüder." Eh' ich sie anschauete, eh' ich sie
anredete: fiel ich gern mit ausgebreiteten Armen
zwischen drei Herzen die ich nicht kannte, und ver¬

weiſſer Fußboden die Gipfel taumelnder Pappeln
umzingelten — und die Gipfel von Eichen und Ka¬
ſtanien liefen nur wie Fruchthecken und Gelaͤnder¬
baͤume wallend um den hohen Tempel und reichten
dem Menſchen darin nur bis an das Herz. —

Ich muß ja dieſe wuͤhlende Gipfelſaat kennen,
ſagt' ich, — dort haͤngen Trauerbirken die Arme —
da drauſſen knieen Staͤmme vor dem Donner, der ſie
getroffen — flattern nicht 9 Floͤre und zerſtaͤubte
Fontainen in gefleckten Zweigen durch einander —
und die Gewitter haben hier ihre fuͤnf eiſernen
Szepter (Gewitterableiter) in die Erde gepflanzt. —
Das iſt doch gewiß ein Traum von der Inſel der
Vereinigung
, die ſo oft bisher den Nebel
des Schlafs mit Strahlen durchſchnitten und
himmliſch und ziehend meine Seele angeſchimmert
hat. — —

Es war kein Traum. Ich ſtand von der Stufe
auf und wollte in den griechiſchen durchhellten Tem¬
pel, der bloß aus einem griechiſchen Dache und fuͤnf
Saͤulen und der ganzen um ihn gelagerten Erde be¬
ſtand, eintreten, als mich acht Arme umfaßten und
vier Stimmen anredeten: »Bruder! — wir ſind
deine Bruͤder.« Eh' ich ſie anſchauete, eh' ich ſie
anredete: fiel ich gern mit ausgebreiteten Armen
zwiſchen drei Herzen die ich nicht kannte, und ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="425"/>
wei&#x017F;&#x017F;er Fußboden die <hi rendition="#g">Gipfel</hi> taumelnder Pappeln<lb/>
umzingelten &#x2014; und die Gipfel von Eichen und Ka¬<lb/>
&#x017F;tanien liefen nur wie Fruchthecken und Gela&#x0364;nder¬<lb/>
ba&#x0364;ume wallend um den hohen Tempel und reichten<lb/>
dem Men&#x017F;chen darin nur bis an das Herz. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich muß ja die&#x017F;e wu&#x0364;hlende Gipfel&#x017F;aat kennen,<lb/>
&#x017F;agt' ich, &#x2014; dort ha&#x0364;ngen Trauerbirken die Arme &#x2014;<lb/>
da drau&#x017F;&#x017F;en knieen Sta&#x0364;mme vor dem Donner, der &#x017F;ie<lb/>
getroffen &#x2014; flattern nicht 9 Flo&#x0364;re und zer&#x017F;ta&#x0364;ubte<lb/>
Fontainen in gefleckten Zweigen durch einander &#x2014;<lb/>
und die Gewitter haben hier ihre fu&#x0364;nf ei&#x017F;ernen<lb/>
Szepter (Gewitterableiter) in die Erde gepflanzt. &#x2014;<lb/>
Das i&#x017F;t doch gewiß ein Traum von der <hi rendition="#g">In&#x017F;el der<lb/>
Vereinigung</hi>, die &#x017F;o oft bisher den Nebel<lb/>
des Schlafs mit Strahlen durch&#x017F;chnitten und<lb/>
himmli&#x017F;ch und ziehend meine Seele ange&#x017F;chimmert<lb/>
hat. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es war kein Traum. Ich &#x017F;tand von der Stufe<lb/>
auf und wollte in den griechi&#x017F;chen durchhellten Tem¬<lb/>
pel, der bloß aus einem griechi&#x017F;chen Dache und fu&#x0364;nf<lb/>
Sa&#x0364;ulen und der ganzen um ihn gelagerten Erde be¬<lb/>
&#x017F;tand, eintreten, als mich acht Arme umfaßten und<lb/>
vier Stimmen anredeten: »Bruder! &#x2014; wir &#x017F;ind<lb/>
deine Bru&#x0364;der.« Eh' ich &#x017F;ie an&#x017F;chauete, eh' ich &#x017F;ie<lb/>
anredete: fiel ich gern mit ausgebreiteten Armen<lb/>
zwi&#x017F;chen drei Herzen die ich nicht kannte, und ver¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0435] weiſſer Fußboden die Gipfel taumelnder Pappeln umzingelten — und die Gipfel von Eichen und Ka¬ ſtanien liefen nur wie Fruchthecken und Gelaͤnder¬ baͤume wallend um den hohen Tempel und reichten dem Menſchen darin nur bis an das Herz. — Ich muß ja dieſe wuͤhlende Gipfelſaat kennen, ſagt' ich, — dort haͤngen Trauerbirken die Arme — da drauſſen knieen Staͤmme vor dem Donner, der ſie getroffen — flattern nicht 9 Floͤre und zerſtaͤubte Fontainen in gefleckten Zweigen durch einander — und die Gewitter haben hier ihre fuͤnf eiſernen Szepter (Gewitterableiter) in die Erde gepflanzt. — Das iſt doch gewiß ein Traum von der Inſel der Vereinigung, die ſo oft bisher den Nebel des Schlafs mit Strahlen durchſchnitten und himmliſch und ziehend meine Seele angeſchimmert hat. — — Es war kein Traum. Ich ſtand von der Stufe auf und wollte in den griechiſchen durchhellten Tem¬ pel, der bloß aus einem griechiſchen Dache und fuͤnf Saͤulen und der ganzen um ihn gelagerten Erde be¬ ſtand, eintreten, als mich acht Arme umfaßten und vier Stimmen anredeten: »Bruder! — wir ſind deine Bruͤder.« Eh' ich ſie anſchauete, eh' ich ſie anredete: fiel ich gern mit ausgebreiteten Armen zwiſchen drei Herzen die ich nicht kannte, und ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/435
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/435>, abgerufen am 25.11.2024.