Matthieu war im vorigen Kapitel nach seiner alten Kühnheit unter lauter Widersachern seines dunkel¬ braunen Ichs ein wenig da geblieben; und saß im Schlosse, als die glückliche Prozession aus dem Gar¬ ten einzog. Er wuste noch nicht, daß der Hofmann Viktor wahrhaftig nichts ist als ein bloßer platter Pfarrsohn. Anfangs setzte er den antiken Spas sei¬ ner Liebeserklärung gegen Agathen fort und reizte den Pfarrer zu Komplimenten und Dankadressen für die Dienste an, die er allen heute erwiesen. Als er aber zu viel Gleichgültigkeit gegen seine kalte Bosheit vorfand, benahm er seiner Verachtung die Zweideutigkeit. Ueberhaupt war sein Herz aufrichtig und stellte sich lieber boshafter als tugendhafter an als es war: er haßte jene Verstellung, wodurch sich mancher Höfling leicht jene Miene des Tugendhaft¬ ten giebt, die am besten durch Lavaters Bemerkung zu erklären ist, daß der Zornige auf seinem Gesicht die Mienen dessen den er hasset, bekomme.
Endlich errieth Matthieu die Geheimnisse und der Pfarrer bestätigte sie ihm. Ein solches Wasser für seine Schneide- und Sägemühle, auf der er Menschen für sein Throngerüste zurechtschnitt, war noch nie auf ihn zugeflossen -- wenn er dieses neue Falsum, diesen neuen entsetzlichen abscheulichen Be¬ trug, den der Lord dem Fürsten gespielt, dem Für¬ sten vorträgt: so muß, -- schließet er -- Jenner
Matthieu war im vorigen Kapitel nach ſeiner alten Kuͤhnheit unter lauter Widerſachern ſeines dunkel¬ braunen Ichs ein wenig da geblieben; und ſaß im Schloſſe, als die gluͤckliche Prozeſſion aus dem Gar¬ ten einzog. Er wuſte noch nicht, daß der Hofmann Viktor wahrhaftig nichts iſt als ein bloßer platter Pfarrſohn. Anfangs ſetzte er den antiken Spas ſei¬ ner Liebeserklaͤrung gegen Agathen fort und reizte den Pfarrer zu Komplimenten und Dankadreſſen fuͤr die Dienſte an, die er allen heute erwieſen. Als er aber zu viel Gleichguͤltigkeit gegen ſeine kalte Bosheit vorfand, benahm er ſeiner Verachtung die Zweideutigkeit. Ueberhaupt war ſein Herz aufrichtig und ſtellte ſich lieber boshafter als tugendhafter an als es war: er haßte jene Verſtellung, wodurch ſich mancher Hoͤfling leicht jene Miene des Tugendhaft¬ ten giebt, die am beſten durch Lavaters Bemerkung zu erklaͤren iſt, daß der Zornige auf ſeinem Geſicht die Mienen deſſen den er haſſet, bekomme.
Endlich errieth Matthieu die Geheimniſſe und der Pfarrer beſtaͤtigte ſie ihm. Ein ſolches Waſſer fuͤr ſeine Schneide- und Saͤgemuͤhle, auf der er Menſchen fuͤr ſein Throngeruͤſte zurechtſchnitt, war noch nie auf ihn zugefloſſen — wenn er dieſes neue Falſum, dieſen neuen entſetzlichen abſcheulichen Be¬ trug, den der Lord dem Fuͤrſten geſpielt, dem Fuͤr¬ ſten vortraͤgt: ſo muß, — ſchließet er — Jenner
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Matthieu war im vorigen Kapitel nach ſeiner alten
Kuͤhnheit unter lauter Widerſachern ſeines dunkel¬
braunen Ichs ein wenig da geblieben; und ſaß im
Schloſſe, als die gluͤckliche Prozeſſion aus dem Gar¬
ten einzog. Er wuſte noch nicht, daß der Hofmann
Viktor wahrhaftig nichts iſt als ein bloßer platter
Pfarrſohn. Anfangs ſetzte er den antiken Spas ſei¬
ner Liebeserklaͤrung gegen Agathen fort und reizte
den Pfarrer zu Komplimenten und Dankadreſſen
fuͤr die Dienſte an, die er allen heute erwieſen. Als
er aber zu viel Gleichguͤltigkeit gegen ſeine kalte
Bosheit vorfand, benahm er ſeiner Verachtung die
Zweideutigkeit. Ueberhaupt war ſein Herz aufrichtig
und ſtellte ſich lieber boshafter als tugendhafter an
als es war: er haßte jene Verſtellung, wodurch ſich
mancher Hoͤfling leicht jene Miene des Tugendhaft¬
ten giebt, die am beſten durch Lavaters Bemerkung
zu erklaͤren iſt, daß der Zornige auf ſeinem Geſicht
die Mienen deſſen den er haſſet, bekomme.
Endlich errieth Matthieu die Geheimniſſe und
der Pfarrer beſtaͤtigte ſie ihm. Ein ſolches Waſſer
fuͤr ſeine Schneide- und Saͤgemuͤhle, auf der er
Menſchen fuͤr ſein Throngeruͤſte zurechtſchnitt, war
noch nie auf ihn zugefloſſen — wenn er dieſes neue
Falſum, dieſen neuen entſetzlichen abſcheulichen Be¬
trug, den der Lord dem Fuͤrſten geſpielt, dem Fuͤr¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/421>, abgerufen am 23.11.2024.
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