aufgerichtet an seiner Brust und sagte: "komm', un¬ "schuldiger Engel, komm' an mein Herz und weine "dich aus daran -- wir sind unglücklich, aber un¬ "schuldig -- o ruhe sanft aus, gequältes Haupt, "ruhe sanft unter meinen Thränen." -- -- Aber im höchsten Weh fing allzeit eine Bergluft um ihn zu flattern an, ihm war als richtete das Hebeisen die eingebrochne Hirnschale auf, als zöge Lebensluft durch die angebohrte, innen modernde Brust hinein; es war ihm darum so, weil ihm das Leben der Menschen klein wurde, der Tod groß und die Erde zu Staub. "Schlafe, Gequälte -- sagt' er zu Klo¬ "tilde, die welkend an ihm lehnte -- verschlafe das "Weh -- das Leben ist ein Schlaf, ein gedrückter "heisser Schlaf, Wampyren sitzen auf ihm, Regen "und Winde fallen auf uns Schlafende und wir "greifen vergeblich aus zum Erwachen -- -- o das "Leben ist ein langer, langer Seufzer vor dem "Ausgehen des Athems -- O daß aber die elende "Lufterscheinung gerade diese gute Seele, gerade "dich, dich so quälen darf!" -- "Ach wenn doch "die zu traurige Flöte aufhörte! Mein Herz zer¬ "springt vor Quaal" sagte die beladene Seele; aber ihr Frennd riß grausam alle Quellen ihrer Thränen weiter auf und goß seine in die ihrigen und malte ihr die Vergangenheit ab: "vor vier Wochen war "es anders, da gingen die Flötentöne über ein schö¬
aufgerichtet an ſeiner Bruſt und ſagte: »komm', un¬ »ſchuldiger Engel, komm' an mein Herz und weine »dich aus daran — wir ſind ungluͤcklich, aber un¬ »ſchuldig — o ruhe ſanft aus, gequaͤltes Haupt, »ruhe ſanft unter meinen Thraͤnen.» — — Aber im hoͤchſten Weh fing allzeit eine Bergluft um ihn zu flattern an, ihm war als richtete das Hebeiſen die eingebrochne Hirnſchale auf, als zoͤge Lebensluft durch die angebohrte, innen modernde Bruſt hinein; es war ihm darum ſo, weil ihm das Leben der Menſchen klein wurde, der Tod groß und die Erde zu Staub. »Schlafe, Gequaͤlte — ſagt' er zu Klo¬ »tilde, die welkend an ihm lehnte — verſchlafe das »Weh — das Leben iſt ein Schlaf, ein gedruͤckter »heiſſer Schlaf, Wampyren ſitzen auf ihm, Regen »und Winde fallen auf uns Schlafende und wir »greifen vergeblich aus zum Erwachen — — o das »Leben iſt ein langer, langer Seufzer vor dem »Ausgehen des Athems — O daß aber die elende »Lufterſcheinung gerade dieſe gute Seele, gerade »dich, dich ſo quaͤlen darf!» — »Ach wenn doch »die zu traurige Floͤte aufhoͤrte! Mein Herz zer¬ »ſpringt vor Quaal» ſagte die beladene Seele; aber ihr Frennd riß grauſam alle Quellen ihrer Thraͤnen weiter auf und goß ſeine in die ihrigen und malte ihr die Vergangenheit ab: »vor vier Wochen war »es anders, da gingen die Floͤtentoͤne uͤber ein ſchoͤ¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0321"n="311"/>
aufgerichtet an ſeiner Bruſt und ſagte: »komm', un¬<lb/>
»ſchuldiger Engel, komm' an mein Herz und weine<lb/>
»dich aus daran — wir ſind ungluͤcklich, aber un¬<lb/>
»ſchuldig — o ruhe ſanft aus, gequaͤltes Haupt,<lb/>
»ruhe ſanft unter meinen Thraͤnen.» —— Aber<lb/>
im hoͤchſten Weh fing allzeit eine Bergluft um ihn<lb/>
zu flattern an, ihm war als richtete das Hebeiſen<lb/>
die eingebrochne Hirnſchale auf, als zoͤge Lebensluft<lb/>
durch die angebohrte, innen modernde Bruſt hinein;<lb/>
es war ihm darum ſo, weil ihm das Leben der<lb/>
Menſchen klein wurde, der Tod groß und die Erde<lb/>
zu Staub. »Schlafe, Gequaͤlte —ſagt' er zu Klo¬<lb/>
»tilde, die welkend an ihm lehnte — verſchlafe das<lb/>
»Weh — das Leben iſt ein Schlaf, ein gedruͤckter<lb/>
»heiſſer Schlaf, Wampyren ſitzen auf ihm, Regen<lb/>
»und Winde fallen auf uns Schlafende und wir<lb/>
»greifen vergeblich aus zum Erwachen —— o das<lb/>
»Leben iſt ein langer, langer Seufzer vor dem<lb/>
»Ausgehen des Athems — O daß aber die elende<lb/>
»Lufterſcheinung gerade dieſe gute Seele, gerade<lb/>
»dich, dich ſo quaͤlen darf!» — »Ach wenn doch<lb/>
»die zu traurige Floͤte aufhoͤrte! Mein Herz zer¬<lb/>
»ſpringt vor Quaal» ſagte die beladene Seele; aber<lb/>
ihr Frennd riß grauſam alle Quellen ihrer Thraͤnen<lb/>
weiter auf und goß ſeine in die ihrigen und malte<lb/>
ihr die Vergangenheit ab: »vor vier Wochen war<lb/>
»es anders, da gingen die Floͤtentoͤne uͤber ein ſchoͤ¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[311/0321]
aufgerichtet an ſeiner Bruſt und ſagte: »komm', un¬
»ſchuldiger Engel, komm' an mein Herz und weine
»dich aus daran — wir ſind ungluͤcklich, aber un¬
»ſchuldig — o ruhe ſanft aus, gequaͤltes Haupt,
»ruhe ſanft unter meinen Thraͤnen.» — — Aber
im hoͤchſten Weh fing allzeit eine Bergluft um ihn
zu flattern an, ihm war als richtete das Hebeiſen
die eingebrochne Hirnſchale auf, als zoͤge Lebensluft
durch die angebohrte, innen modernde Bruſt hinein;
es war ihm darum ſo, weil ihm das Leben der
Menſchen klein wurde, der Tod groß und die Erde
zu Staub. »Schlafe, Gequaͤlte — ſagt' er zu Klo¬
»tilde, die welkend an ihm lehnte — verſchlafe das
»Weh — das Leben iſt ein Schlaf, ein gedruͤckter
»heiſſer Schlaf, Wampyren ſitzen auf ihm, Regen
»und Winde fallen auf uns Schlafende und wir
»greifen vergeblich aus zum Erwachen — — o das
»Leben iſt ein langer, langer Seufzer vor dem
»Ausgehen des Athems — O daß aber die elende
»Lufterſcheinung gerade dieſe gute Seele, gerade
»dich, dich ſo quaͤlen darf!» — »Ach wenn doch
»die zu traurige Floͤte aufhoͤrte! Mein Herz zer¬
»ſpringt vor Quaal» ſagte die beladene Seele; aber
ihr Frennd riß grauſam alle Quellen ihrer Thraͤnen
weiter auf und goß ſeine in die ihrigen und malte
ihr die Vergangenheit ab: »vor vier Wochen war
»es anders, da gingen die Floͤtentoͤne uͤber ein ſchoͤ¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/321>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.