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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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mehr -- er hat vier Menschen verloren, gleichsam
um die vier Pfingsttage damit abzuzahlen: Emanuel
ist verschwunden, Flamin ist ein Feind geworden,
der Lord ein Fremder und Klotilde -- eine Fremde.
Denn er sagte zu sich: "Jetzt, da sie so weit über
"mich gerückt ist, will ich [ - 1 Zeichen fehlt]er Leidenden, der ich
"schon so viel genommen, nicht gar alles kosten,
"nicht gar die liebe ihres Vaters und ihren Stand
"-- ich will nicht auf ihre in der Unwissenheit
"meiner Verhältnisse geschenkte Liebe dringen. --
"Nein, ich will gern meine Seele von der theuersten
"ablösen unter tausend Wunden meiner Brust und
"mich dann einsam hinlegen und zu Tod bluten." --
Jetzt wurd' ihm dieser Vorsatz leicht: denn nach
dem Tode eines Freundes nehmen wir ein neues
schweres Unglück gern auf unsere Brust, es soll sie
eindrücken, denn wir wollen sterben.

Doch hatte das Schicksal in seinen zwei Armen
noch zwei Geliebte gelassen: seinen Julius und seine
Mutter. In jenem liebt er so viele schöne Bezie¬
hungen; sogar das war eine, die es macht, daß man
allzeit den liebt, mit dem man verwechselt würde;
und er wollte Vaterstelle bei jenem vertreten wie
der Lord bei ihm, um diesem edeln Manne -- Edel¬
manne -- nicht sowol zu danken als nachzueifern.
Und noch heißer umfing er mit seiner Seele die vor¬
trefliche Pfarrerin, der schon bisher sein Herz in

Hesperus. III Th. U

mehr — er hat vier Menſchen verloren, gleichſam
um die vier Pfingſttage damit abzuzahlen: Emanuel
iſt verſchwunden, Flamin iſt ein Feind geworden,
der Lord ein Fremder und Klotilde — eine Fremde.
Denn er ſagte zu ſich: »Jetzt, da ſie ſo weit uͤber
»mich geruͤckt iſt, will ich [ – 1 Zeichen fehlt]er Leidenden, der ich
»ſchon ſo viel genommen, nicht gar alles koſten,
»nicht gar die liebe ihres Vaters und ihren Stand
»— ich will nicht auf ihre in der Unwiſſenheit
»meiner Verhaͤltniſſe geſchenkte Liebe dringen. —
»Nein, ich will gern meine Seele von der theuerſten
»abloͤſen unter tauſend Wunden meiner Bruſt und
»mich dann einſam hinlegen und zu Tod bluten.» —
Jetzt wurd' ihm dieſer Vorſatz leicht: denn nach
dem Tode eines Freundes nehmen wir ein neues
ſchweres Ungluͤck gern auf unſere Bruſt, es ſoll ſie
eindruͤcken, denn wir wollen ſterben.

Doch hatte das Schickſal in ſeinen zwei Armen
noch zwei Geliebte gelaſſen: ſeinen Julius und ſeine
Mutter. In jenem liebt er ſo viele ſchoͤne Bezie¬
hungen; ſogar das war eine, die es macht, daß man
allzeit den liebt, mit dem man verwechſelt wuͤrde;
und er wollte Vaterſtelle bei jenem vertreten wie
der Lord bei ihm, um dieſem edeln Manne — Edel¬
manne — nicht ſowol zu danken als nachzueifern.
Und noch heißer umfing er mit ſeiner Seele die vor¬
trefliche Pfarrerin, der ſchon bisher ſein Herz in

Heſperus. III Th. U
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[305/0315] mehr — er hat vier Menſchen verloren, gleichſam um die vier Pfingſttage damit abzuzahlen: Emanuel iſt verſchwunden, Flamin iſt ein Feind geworden, der Lord ein Fremder und Klotilde — eine Fremde. Denn er ſagte zu ſich: »Jetzt, da ſie ſo weit uͤber »mich geruͤckt iſt, will ich _er Leidenden, der ich »ſchon ſo viel genommen, nicht gar alles koſten, »nicht gar die liebe ihres Vaters und ihren Stand »— ich will nicht auf ihre in der Unwiſſenheit »meiner Verhaͤltniſſe geſchenkte Liebe dringen. — »Nein, ich will gern meine Seele von der theuerſten »abloͤſen unter tauſend Wunden meiner Bruſt und »mich dann einſam hinlegen und zu Tod bluten.» — Jetzt wurd' ihm dieſer Vorſatz leicht: denn nach dem Tode eines Freundes nehmen wir ein neues ſchweres Ungluͤck gern auf unſere Bruſt, es ſoll ſie eindruͤcken, denn wir wollen ſterben. Doch hatte das Schickſal in ſeinen zwei Armen noch zwei Geliebte gelaſſen: ſeinen Julius und ſeine Mutter. In jenem liebt er ſo viele ſchoͤne Bezie¬ hungen; ſogar das war eine, die es macht, daß man allzeit den liebt, mit dem man verwechſelt wuͤrde; und er wollte Vaterſtelle bei jenem vertreten wie der Lord bei ihm, um dieſem edeln Manne — Edel¬ manne — nicht ſowol zu danken als nachzueifern. Und noch heißer umfing er mit ſeiner Seele die vor¬ trefliche Pfarrerin, der ſchon bisher ſein Herz in Heſperus. III Th. U

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/315>, abgerufen am 23.11.2024.