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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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lich verüben, wie in den schweizerischen Kirchen die
Zuhörer gemeinschaftlich husten oder die Rekruten
eines Transports zugleich pissen müssen. Wenig¬
stens verräth es den Mann von Lebensart nicht,
seine Liebe gegen seine Ehefrau oder gegen seine Re¬
ligion andern zu zeigen. -- Ich komme wieder zur
Historie:

Viktor beschloß, lauter Visiten zu machen, die
ihn ärgerten. Der böse Geist der im Menschen all¬
zeit wie die jüngsten Räthe zuerst votirt, machte die
Mozion "er solle Joachimen den kleinen Irrwahn,
"daß er sie lieb, lassen, " -- als das nicht durch¬
ging, nahm der Filou eine andere Stimme an und
schlug damit vor: "er sollte sie für ihre bisherige
Zweideutigkeit durch die deutlichsten Zeichen seines
Haßes strafen." -- Aber er ging willig dem guten
Geiste nach, der ihn an der Hand führte und unter¬
weges sagte: "gehe jetzt zu ihr -- ziehe dich von
"ihr ohne ihre Schmerzen loß -- deine Hand gleite
"allmählig aus ihrer und räume einen Finger nach
"dem andern wie es Mädgen mit ihrer physischen
"machen und stelle dich weder als ihren Feind noch
"als ihren Liebhaber an." Er ging ohne allen Ei¬
gennutz hin: denn der wäre eher gewesen zu Hause
zu bleiben und die Vergangenheit und Zukunft zu
genießen und durchzublättern, oder auch aus dem
Hause zu gehen nach St. Lüne, um sich zu

lich veruͤben, wie in den ſchweizeriſchen Kirchen die
Zuhoͤrer gemeinſchaftlich huſten oder die Rekruten
eines Transports zugleich piſſen muͤſſen. Wenig¬
ſtens verraͤth es den Mann von Lebensart nicht,
ſeine Liebe gegen ſeine Ehefrau oder gegen ſeine Re¬
ligion andern zu zeigen. — Ich komme wieder zur
Hiſtorie:

Viktor beſchloß, lauter Viſiten zu machen, die
ihn aͤrgerten. Der boͤſe Geiſt der im Menſchen all¬
zeit wie die juͤngſten Raͤthe zuerſt votirt, machte die
Mozion »er ſolle Joachimen den kleinen Irrwahn,
»daß er ſie lieb, laſſen, » — als das nicht durch¬
ging, nahm der Filou eine andere Stimme an und
ſchlug damit vor: »er ſollte ſie fuͤr ihre bisherige
Zweideutigkeit durch die deutlichſten Zeichen ſeines
Haßes ſtrafen.» — Aber er ging willig dem guten
Geiſte nach, der ihn an der Hand fuͤhrte und unter¬
weges ſagte: »gehe jetzt zu ihr — ziehe dich von
»ihr ohne ihre Schmerzen loß — deine Hand gleite
»allmaͤhlig aus ihrer und raͤume einen Finger nach
»dem andern wie es Maͤdgen mit ihrer phyſiſchen
»machen und ſtelle dich weder als ihren Feind noch
»als ihren Liebhaber an.» Er ging ohne allen Ei¬
gennutz hin: denn der waͤre eher geweſen zu Hauſe
zu bleiben und die Vergangenheit und Zukunft zu
genießen und durchzublaͤttern, oder auch aus dem
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[21/0031] lich veruͤben, wie in den ſchweizeriſchen Kirchen die Zuhoͤrer gemeinſchaftlich huſten oder die Rekruten eines Transports zugleich piſſen muͤſſen. Wenig¬ ſtens verraͤth es den Mann von Lebensart nicht, ſeine Liebe gegen ſeine Ehefrau oder gegen ſeine Re¬ ligion andern zu zeigen. — Ich komme wieder zur Hiſtorie: Viktor beſchloß, lauter Viſiten zu machen, die ihn aͤrgerten. Der boͤſe Geiſt der im Menſchen all¬ zeit wie die juͤngſten Raͤthe zuerſt votirt, machte die Mozion »er ſolle Joachimen den kleinen Irrwahn, »daß er ſie lieb, laſſen, » — als das nicht durch¬ ging, nahm der Filou eine andere Stimme an und ſchlug damit vor: »er ſollte ſie fuͤr ihre bisherige Zweideutigkeit durch die deutlichſten Zeichen ſeines Haßes ſtrafen.» — Aber er ging willig dem guten Geiſte nach, der ihn an der Hand fuͤhrte und unter¬ weges ſagte: »gehe jetzt zu ihr — ziehe dich von »ihr ohne ihre Schmerzen loß — deine Hand gleite »allmaͤhlig aus ihrer und raͤume einen Finger nach »dem andern wie es Maͤdgen mit ihrer phyſiſchen »machen und ſtelle dich weder als ihren Feind noch »als ihren Liebhaber an.» Er ging ohne allen Ei¬ gennutz hin: denn der waͤre eher geweſen zu Hauſe zu bleiben und die Vergangenheit und Zukunft zu genießen und durchzublaͤttern, oder auch aus dem Hauſe zu gehen nach St. Luͤne, um ſich zu

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/31>, abgerufen am 21.11.2024.