"bald ich mein jetziges Ich vergesse, so könnte ja je¬ "des fremde statt meiner unsterblich seyn. Auch "folgt der Untergang meiner Erinnerung nicht aus "der irrdischen Abhängigkeit von meinem Körper; "denn diese Abhängigkeit haben alle geistige Kräfte "mit ihr gemein und es müßte dann aus dieser Ab¬ "hängigkeit auch der Untergang der andern folgen; "und was bliebe denn noch zur Unsterblichkeit übrig?" -- Emanuel sagte: der Gedanke der Wiedererkennung, so viel er auch Sinnliches voraussetze, sey so süß und hinreissend, daß wenn sich die Menschen ge¬ wiß davon machen könnten, keiner eine Stunde hier würde zögern wollen, besonders wenn man den Him¬ mels-Gedanken ausmahlte, alle große und edle Men¬ schen auf einmal zu finden. "Ich habe mir oft "(sagt' er) die künftige Erinnerung nach Analogie "der jetzigen vorphantasirt, und mußte immer vor "Entzückung aufhören, wenn ich mir dachte, wie in "jener Erinnerung die Erde zu einer dunkeln Mor¬ "gen-Aue und unser Leben zu einem weit entrückten "mit Mondschein erhellten Tag eingehen werde -- "O wenn wir schon vor dem Bilde einiger Kin¬ "derjahre zerfließen, wie sanft wird uns einmal "das Bild aller Kinderjahre anblicken." -- Viktor wehrte diese tödtlichen Entzückungen ab und nach¬ dem er zum Uebergange gesagt, "eine Verbindung "muß in jedem Fall diese Erde mit der zweiten ha¬
"ben"
»bald ich mein jetziges Ich vergeſſe, ſo koͤnnte ja je¬ »des fremde ſtatt meiner unſterblich ſeyn. Auch »folgt der Untergang meiner Erinnerung nicht aus »der irrdiſchen Abhaͤngigkeit von meinem Koͤrper; »denn dieſe Abhaͤngigkeit haben alle geiſtige Kraͤfte »mit ihr gemein und es muͤßte dann aus dieſer Ab¬ »haͤngigkeit auch der Untergang der andern folgen; »und was bliebe denn noch zur Unſterblichkeit uͤbrig?« — Emanuel ſagte: der Gedanke der Wiedererkennung, ſo viel er auch Sinnliches vorausſetze, ſey ſo ſuͤß und hinreiſſend, daß wenn ſich die Menſchen ge¬ wiß davon machen koͤnnten, keiner eine Stunde hier wuͤrde zoͤgern wollen, beſonders wenn man den Him¬ mels-Gedanken ausmahlte, alle große und edle Men¬ ſchen auf einmal zu finden. »Ich habe mir oft »(ſagt' er) die kuͤnftige Erinnerung nach Analogie »der jetzigen vorphantaſirt, und mußte immer vor »Entzuͤckung aufhoͤren, wenn ich mir dachte, wie in »jener Erinnerung die Erde zu einer dunkeln Mor¬ »gen-Aue und unſer Leben zu einem weit entruͤckten »mit Mondſchein erhellten Tag eingehen werde — »O wenn wir ſchon vor dem Bilde einiger Kin¬ »derjahre zerfließen, wie ſanft wird uns einmal »das Bild aller Kinderjahre anblicken.« — Viktor wehrte dieſe toͤdtlichen Entzuͤckungen ab und nach¬ dem er zum Uebergange geſagt, »eine Verbindung »muß in jedem Fall dieſe Erde mit der zweiten ha¬
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»bald ich mein jetziges Ich vergeſſe, ſo koͤnnte ja je¬
»des fremde ſtatt meiner unſterblich ſeyn. Auch
»folgt der Untergang meiner Erinnerung nicht aus
»der irrdiſchen Abhaͤngigkeit von meinem Koͤrper;
»denn dieſe Abhaͤngigkeit haben alle geiſtige Kraͤfte
»mit ihr gemein und es muͤßte dann aus dieſer Ab¬
»haͤngigkeit auch der Untergang der andern folgen;
»und was bliebe denn noch zur Unſterblichkeit uͤbrig?«
— Emanuel ſagte: der Gedanke der Wiedererkennung,
ſo viel er auch Sinnliches vorausſetze, ſey ſo ſuͤß
und hinreiſſend, daß wenn ſich die Menſchen ge¬
wiß davon machen koͤnnten, keiner eine Stunde hier
wuͤrde zoͤgern wollen, beſonders wenn man den Him¬
mels-Gedanken ausmahlte, alle große und edle Men¬
ſchen auf einmal zu finden. »Ich habe mir oft
»(ſagt' er) die kuͤnftige Erinnerung nach Analogie
»der jetzigen vorphantaſirt, und mußte immer vor
»Entzuͤckung aufhoͤren, wenn ich mir dachte, wie in
»jener Erinnerung die Erde zu einer dunkeln Mor¬
»gen-Aue und unſer Leben zu einem weit entruͤckten
»mit Mondſchein erhellten Tag eingehen werde —
»O wenn wir ſchon vor dem Bilde einiger Kin¬
»derjahre zerfließen, wie ſanft wird uns einmal
»das Bild aller Kinderjahre anblicken.« — Viktor
wehrte dieſe toͤdtlichen Entzuͤckungen ab und nach¬
dem er zum Uebergange geſagt, »eine Verbindung
»muß in jedem Fall dieſe Erde mit der zweiten ha¬
»ben»
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/298>, abgerufen am 23.11.2024.
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