nicht mehr erscheinen, ich gehe in den Himmel zu¬ rück? Diese Gestalt war ich, o Julius: denn ich habe dich geliebt und bis in den Tod. Siehe! hier steh' ich am Ufer der zweiten Welt, aber ich schaue nicht hinüber in ihre unendlichen Gefilde, sondern ich kehre mein Angesicht noch sinkend nach dir zu¬ rück, nach dir und mein Auge bricht an deinem Bilde. -- Jetzt hab' ich Dir alles gesagt. -- Nun komm, stillender Tod, lege langsam die weisse Hya¬ zinthe um und theile bald das Herz auseinander, da¬ mit Julius darin die verschloßene Liebe sehe. -- -- Ach wirst denn du eine Todte in deine Seele neh¬ men? Wirst du weinen, wenn du dieses lesen hö¬ rest? Ach wenn mein zugedeckter, zerdrückter Staub dich nicht mehr berühren kann, wird mein entfern¬ ter Geist von deinem geliebt werden? -- Aber ich beschwöre dich, o Unvergeßlicher, geh' an dem Ta¬ ge, wo dir dieses Thränenblatt vorgelesen wird, da gehe wenn die Sonne untergeht, hinauf zu meinem Grabe und bringe dem bleichen Angesicht darunter, das der alte Hügel schon entzwei drückt, und dem zerronnenen Herzen, das für nichts mehr schlagen kann, da bringe der Armen, die dich so sehr geliebt und die deinetwegen sich unter die Erde gehüllet, dein Todtenopfer -- bring' ihr auf deiner Flöte die Töne meines geliebten Liedes: das Grab ist tief und stille. -- Sing es leise nach, Klotilde und besuch'
nicht mehr erſcheinen, ich gehe in den Himmel zu¬ ruͤck? Dieſe Geſtalt war ich, o Julius: denn ich habe dich geliebt und bis in den Tod. Siehe! hier ſteh' ich am Ufer der zweiten Welt, aber ich ſchaue nicht hinuͤber in ihre unendlichen Gefilde, ſondern ich kehre mein Angeſicht noch ſinkend nach dir zu¬ ruͤck, nach dir und mein Auge bricht an deinem Bilde. — Jetzt hab' ich Dir alles geſagt. — Nun komm, ſtillender Tod, lege langſam die weiſſe Hya¬ zinthe um und theile bald das Herz auseinander, da¬ mit Julius darin die verſchloßene Liebe ſehe. — — Ach wirſt denn du eine Todte in deine Seele neh¬ men? Wirſt du weinen, wenn du dieſes leſen hoͤ¬ reſt? Ach wenn mein zugedeckter, zerdruͤckter Staub dich nicht mehr beruͤhren kann, wird mein entfern¬ ter Geiſt von deinem geliebt werden? — Aber ich beſchwoͤre dich, o Unvergeßlicher, geh' an dem Ta¬ ge, wo dir dieſes Thraͤnenblatt vorgeleſen wird, da gehe wenn die Sonne untergeht, hinauf zu meinem Grabe und bringe dem bleichen Angeſicht darunter, das der alte Huͤgel ſchon entzwei druͤckt, und dem zerronnenen Herzen, das fuͤr nichts mehr ſchlagen kann, da bringe der Armen, die dich ſo ſehr geliebt und die deinetwegen ſich unter die Erde gehuͤllet, dein Todtenopfer — bring' ihr auf deiner Floͤte die Toͤne meines geliebten Liedes: das Grab iſt tief und ſtille. — Sing es leiſe nach, Klotilde und beſuch'
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0215"n="205"/>
nicht mehr erſcheinen, ich gehe in den Himmel zu¬<lb/>
ruͤck? Dieſe Geſtalt war ich, o Julius: denn ich<lb/>
habe dich geliebt und bis in den Tod. Siehe! hier<lb/>ſteh' ich am Ufer der zweiten Welt, aber ich ſchaue<lb/>
nicht hinuͤber in ihre unendlichen Gefilde, ſondern<lb/>
ich kehre mein Angeſicht noch ſinkend nach dir zu¬<lb/>
ruͤck, nach dir und mein Auge bricht an deinem<lb/>
Bilde. — Jetzt hab' ich Dir alles geſagt. — Nun<lb/>
komm, ſtillender Tod, lege langſam die weiſſe Hya¬<lb/>
zinthe um und theile bald das Herz auseinander, da¬<lb/>
mit Julius darin die verſchloßene Liebe ſehe. ——<lb/>
Ach wirſt denn du eine Todte in deine Seele neh¬<lb/>
men? Wirſt du weinen, wenn du dieſes leſen hoͤ¬<lb/>
reſt? Ach wenn mein zugedeckter, zerdruͤckter Staub<lb/>
dich nicht mehr beruͤhren kann, wird mein entfern¬<lb/>
ter Geiſt von deinem geliebt werden? — Aber ich<lb/>
beſchwoͤre dich, o Unvergeßlicher, geh' an dem Ta¬<lb/>
ge, wo dir dieſes Thraͤnenblatt vorgeleſen wird, da<lb/>
gehe wenn die Sonne untergeht, hinauf zu meinem<lb/>
Grabe und bringe dem bleichen Angeſicht darunter,<lb/>
das der alte Huͤgel ſchon entzwei druͤckt, und dem<lb/>
zerronnenen Herzen, das fuͤr nichts mehr ſchlagen<lb/>
kann, da bringe der Armen, die dich ſo ſehr geliebt<lb/>
und die deinetwegen ſich unter die Erde gehuͤllet,<lb/>
dein Todtenopfer — bring' ihr auf deiner Floͤte die<lb/>
Toͤne meines geliebten Liedes: das Grab iſt tief und<lb/>ſtille. — Sing es leiſe nach, Klotilde und beſuch'<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[205/0215]
nicht mehr erſcheinen, ich gehe in den Himmel zu¬
ruͤck? Dieſe Geſtalt war ich, o Julius: denn ich
habe dich geliebt und bis in den Tod. Siehe! hier
ſteh' ich am Ufer der zweiten Welt, aber ich ſchaue
nicht hinuͤber in ihre unendlichen Gefilde, ſondern
ich kehre mein Angeſicht noch ſinkend nach dir zu¬
ruͤck, nach dir und mein Auge bricht an deinem
Bilde. — Jetzt hab' ich Dir alles geſagt. — Nun
komm, ſtillender Tod, lege langſam die weiſſe Hya¬
zinthe um und theile bald das Herz auseinander, da¬
mit Julius darin die verſchloßene Liebe ſehe. — —
Ach wirſt denn du eine Todte in deine Seele neh¬
men? Wirſt du weinen, wenn du dieſes leſen hoͤ¬
reſt? Ach wenn mein zugedeckter, zerdruͤckter Staub
dich nicht mehr beruͤhren kann, wird mein entfern¬
ter Geiſt von deinem geliebt werden? — Aber ich
beſchwoͤre dich, o Unvergeßlicher, geh' an dem Ta¬
ge, wo dir dieſes Thraͤnenblatt vorgeleſen wird, da
gehe wenn die Sonne untergeht, hinauf zu meinem
Grabe und bringe dem bleichen Angeſicht darunter,
das der alte Huͤgel ſchon entzwei druͤckt, und dem
zerronnenen Herzen, das fuͤr nichts mehr ſchlagen
kann, da bringe der Armen, die dich ſo ſehr geliebt
und die deinetwegen ſich unter die Erde gehuͤllet,
dein Todtenopfer — bring' ihr auf deiner Floͤte die
Toͤne meines geliebten Liedes: das Grab iſt tief und
ſtille. — Sing es leiſe nach, Klotilde und beſuch'
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/215>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.