Ich kenne nichts rührenders und schöneres als die weibliche Verbeugung aus jener tiefen Achtung, mit der gute Mädgen ihre Liebe allein zu sagen wagen. -- Glücklicher Viktor! deine Klotilde empfing dich mit so vieler Achtung wie ihren Lehrer. Nur die Ko¬ kette wird durch die Liebe befehlshaberischer (ein kieselsteinernes Juristen-Wort!); aber die Stolze wird dadurch bescheiden und sanft. -- Nie aß er froher als in diesem transparenten Luftschloß, vor dessen ofnen Fenstern ein blauer Horizont und näher brausende und mit Musik besetzte Alleen ruhten, als in dieser geputzten Orangerie aufblühender Mädgen, anstatt daß ein Gymnasium eine Menagerie ist und ein Schwesternhaus eine Volerie. -- Viktor, der Weiber noch besser zu lenken verstand als Männer, war im arbeitenden Ameisenhaufen dieser lebhaften Mädgen so gesund wie in einem Ameisenbad und war ein zweiter Bienenvater Wildau, der sich aus diesem Immenschwarm bald einen Bart komponirte, bald einen Muff. Es gehört mehr männlicher Verstand zu einer gewissen feinen Galanterie als die haben, die sie in ihren Satiren mit der faden vermengen; so wie nur Gebirge den süßesten Honig darbieten. Der Ernst muß den Scherz grundiren, die Achtung und das Wohlwollen das Lob. Viktor konnte leichter vor zwei, als vor 32 weiblichen Augen in Verlegen¬ heit gerathen, die übrigens der gröbste Donatschnizer
Ich kenne nichts ruͤhrenders und ſchoͤneres als die weibliche Verbeugung aus jener tiefen Achtung, mit der gute Maͤdgen ihre Liebe allein zu ſagen wagen. — Gluͤcklicher Viktor! deine Klotilde empfing dich mit ſo vieler Achtung wie ihren Lehrer. Nur die Ko¬ kette wird durch die Liebe befehlshaberiſcher (ein kieſelſteinernes Juriſten–Wort!); aber die Stolze wird dadurch beſcheiden und ſanft. — Nie aß er froher als in dieſem transparenten Luftſchloß, vor deſſen ofnen Fenſtern ein blauer Horizont und naͤher brauſende und mit Muſik beſetzte Alleen ruhten, als in dieſer geputzten Orangerie aufbluͤhender Maͤdgen, anſtatt daß ein Gymnaſium eine Menagerie iſt und ein Schweſternhaus eine Volerie. — Viktor, der Weiber noch beſſer zu lenken verſtand als Maͤnner, war im arbeitenden Ameiſenhaufen dieſer lebhaften Maͤdgen ſo geſund wie in einem Ameiſenbad und war ein zweiter Bienenvater Wildau, der ſich aus dieſem Immenſchwarm bald einen Bart komponirte, bald einen Muff. Es gehoͤrt mehr maͤnnlicher Verſtand zu einer gewiſſen feinen Galanterie als die haben, die ſie in ihren Satiren mit der faden vermengen; ſo wie nur Gebirge den ſuͤßeſten Honig darbieten. Der Ernſt muß den Scherz grundiren, die Achtung und das Wohlwollen das Lob. Viktor konnte leichter vor zwei, als vor 32 weiblichen Augen in Verlegen¬ heit gerathen, die uͤbrigens der groͤbſte Donatſchnizer
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Ich kenne nichts ruͤhrenders und ſchoͤneres als die
weibliche Verbeugung aus jener tiefen Achtung, mit
der gute Maͤdgen ihre Liebe allein zu ſagen wagen. —
Gluͤcklicher Viktor! deine Klotilde empfing dich mit
ſo vieler Achtung wie ihren Lehrer. Nur die Ko¬
kette wird durch die Liebe befehlshaberiſcher (ein
kieſelſteinernes Juriſten–Wort!); aber die Stolze
wird dadurch beſcheiden und ſanft. — Nie aß er
froher als in dieſem transparenten Luftſchloß, vor
deſſen ofnen Fenſtern ein blauer Horizont und naͤher
brauſende und mit Muſik beſetzte Alleen ruhten, als
in dieſer geputzten Orangerie aufbluͤhender Maͤdgen,
anſtatt daß ein Gymnaſium eine Menagerie iſt und
ein Schweſternhaus eine Volerie. — Viktor, der Weiber
noch beſſer zu lenken verſtand als Maͤnner, war im
arbeitenden Ameiſenhaufen dieſer lebhaften Maͤdgen
ſo geſund wie in einem Ameiſenbad und war ein
zweiter Bienenvater Wildau, der ſich aus dieſem
Immenſchwarm bald einen Bart komponirte, bald
einen Muff. Es gehoͤrt mehr maͤnnlicher Verſtand zu
einer gewiſſen feinen Galanterie als die haben, die
ſie in ihren Satiren mit der faden vermengen; ſo
wie nur Gebirge den ſuͤßeſten Honig darbieten. Der
Ernſt muß den Scherz grundiren, die Achtung und
das Wohlwollen das Lob. Viktor konnte leichter
vor zwei, als vor 32 weiblichen Augen in Verlegen¬
heit gerathen, die uͤbrigens der groͤbſte Donatſchnizer
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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