Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

alles mit der Geliebten theilen, sogar die Küche.
Emanuel zündete nach Ostern kein animalisches Licht
mehr an. Im Helldunkel, aus Mondes-Silber und
Lindengrün zusammengegossen, blühte das seelige Klee¬
blatt unter dem Abendstern. Viktor machte heute
durch seine medizinische Schilderungen der Nachtkälte
den siechen Freund abtrünnig von den Nachtwand¬
lungen und ging nur allein mit dem Blinden noch
hinaus an die Schlafstätte der verstummten Natur.
. . . . Seelig ist der Abend, der der Vorhof eines
seeligen Morgens ist -- Der Maifrost hatte die
Sterne vom warmen Dunsthauch gereinigt und das
Blau des Halb-Himmels vertieft, um eine schöne
Nacht zum Bürgen eines schönen Tages zu machen
-- Alles schwieg ums Dörfgen, ausgenommen die
Nachtigal im Garten und die rauschenden Maikäfer,
diese Herolde eines hellen Tages -- Und als Viktor
nach Hause ging mit einem empor geseufzeten Dank
für diese Pfingststunden, von denen jede der andern
die Zuckerstreubüchse gab, um die engen Minuten ei¬
nes stillen Menschen zu versüßen; als er vorbeiging
vor den gedämpften Beichtliedern, die hier ein zwölf¬
jähriger Mensch, der morgen zum Abendmal ging,
dort einer neben seiner Mutter sang; und als end¬
lich ein verhauchtes Abendlied aus der Abtei, das
gleichsam auf einem einzigen Lautenton fortschwamm,
den schönen Tag mit einer Kadence zu Ende führte

alles mit der Geliebten theilen, ſogar die Kuͤche.
Emanuel zuͤndete nach Oſtern kein animaliſches Licht
mehr an. Im Helldunkel, aus Mondes-Silber und
Lindengruͤn zuſammengegoſſen, bluͤhte das ſeelige Klee¬
blatt unter dem Abendſtern. Viktor machte heute
durch ſeine mediziniſche Schilderungen der Nachtkaͤlte
den ſiechen Freund abtruͤnnig von den Nachtwand¬
lungen und ging nur allein mit dem Blinden noch
hinaus an die Schlafſtaͤtte der verſtummten Natur.
. . . . Seelig iſt der Abend, der der Vorhof eines
ſeeligen Morgens iſt — Der Maifroſt hatte die
Sterne vom warmen Dunſthauch gereinigt und das
Blau des Halb-Himmels vertieft, um eine ſchoͤne
Nacht zum Buͤrgen eines ſchoͤnen Tages zu machen
— Alles ſchwieg ums Doͤrfgen, ausgenommen die
Nachtigal im Garten und die rauſchenden Maikaͤfer,
dieſe Herolde eines hellen Tages — Und als Viktor
nach Hauſe ging mit einem empor geſeufzeten Dank
fuͤr dieſe Pfingſtſtunden, von denen jede der andern
die Zuckerſtreubuͤchſe gab, um die engen Minuten ei¬
nes ſtillen Menſchen zu verſuͤßen; als er vorbeiging
vor den gedaͤmpften Beichtliedern, die hier ein zwoͤlf¬
jaͤhriger Menſch, der morgen zum Abendmal ging,
dort einer neben ſeiner Mutter ſang; und als end¬
lich ein verhauchtes Abendlied aus der Abtei, das
gleichſam auf einem einzigen Lautenton fortſchwamm,
den ſchoͤnen Tag mit einer Kadence zu Ende fuͤhrte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0152" n="142"/>
alles mit der Geliebten theilen, &#x017F;ogar die Ku&#x0364;che.<lb/>
Emanuel zu&#x0364;ndete nach O&#x017F;tern kein animali&#x017F;ches Licht<lb/>
mehr an. Im Helldunkel, aus Mondes-Silber und<lb/>
Lindengru&#x0364;n zu&#x017F;ammengego&#x017F;&#x017F;en, blu&#x0364;hte das &#x017F;eelige Klee¬<lb/>
blatt unter dem Abend&#x017F;tern. Viktor machte heute<lb/>
durch &#x017F;eine medizini&#x017F;che Schilderungen der Nachtka&#x0364;lte<lb/>
den &#x017F;iechen Freund abtru&#x0364;nnig von den Nachtwand¬<lb/>
lungen und ging nur allein mit dem Blinden noch<lb/>
hinaus an die Schlaf&#x017F;ta&#x0364;tte der ver&#x017F;tummten Natur.<lb/>
. . . . Seelig i&#x017F;t der Abend, der der Vorhof eines<lb/>
&#x017F;eeligen Morgens i&#x017F;t &#x2014; Der Maifro&#x017F;t hatte die<lb/>
Sterne vom warmen Dun&#x017F;thauch gereinigt und das<lb/>
Blau des Halb-Himmels vertieft, um eine &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Nacht zum Bu&#x0364;rgen eines &#x017F;cho&#x0364;nen Tages zu machen<lb/>
&#x2014; Alles &#x017F;chwieg ums Do&#x0364;rfgen, ausgenommen die<lb/>
Nachtigal im Garten und die rau&#x017F;chenden Maika&#x0364;fer,<lb/>
die&#x017F;e Herolde eines hellen Tages &#x2014; Und als Viktor<lb/>
nach Hau&#x017F;e ging mit einem empor ge&#x017F;eufzeten Dank<lb/>
fu&#x0364;r die&#x017F;e Pfing&#x017F;t&#x017F;tunden, von denen jede der andern<lb/>
die Zucker&#x017F;treubu&#x0364;ch&#x017F;e gab, um die engen Minuten ei¬<lb/>
nes &#x017F;tillen Men&#x017F;chen zu ver&#x017F;u&#x0364;ßen; als er vorbeiging<lb/>
vor den geda&#x0364;mpften Beichtliedern, die hier ein zwo&#x0364;lf¬<lb/>
ja&#x0364;hriger Men&#x017F;ch, der morgen zum Abendmal ging,<lb/>
dort einer neben &#x017F;einer Mutter &#x017F;ang; und als end¬<lb/>
lich ein verhauchtes Abendlied aus der Abtei, das<lb/>
gleich&#x017F;am auf einem einzigen Lautenton fort&#x017F;chwamm,<lb/>
den &#x017F;cho&#x0364;nen Tag mit einer Kadence zu Ende fu&#x0364;hrte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0152] alles mit der Geliebten theilen, ſogar die Kuͤche. Emanuel zuͤndete nach Oſtern kein animaliſches Licht mehr an. Im Helldunkel, aus Mondes-Silber und Lindengruͤn zuſammengegoſſen, bluͤhte das ſeelige Klee¬ blatt unter dem Abendſtern. Viktor machte heute durch ſeine mediziniſche Schilderungen der Nachtkaͤlte den ſiechen Freund abtruͤnnig von den Nachtwand¬ lungen und ging nur allein mit dem Blinden noch hinaus an die Schlafſtaͤtte der verſtummten Natur. . . . . Seelig iſt der Abend, der der Vorhof eines ſeeligen Morgens iſt — Der Maifroſt hatte die Sterne vom warmen Dunſthauch gereinigt und das Blau des Halb-Himmels vertieft, um eine ſchoͤne Nacht zum Buͤrgen eines ſchoͤnen Tages zu machen — Alles ſchwieg ums Doͤrfgen, ausgenommen die Nachtigal im Garten und die rauſchenden Maikaͤfer, dieſe Herolde eines hellen Tages — Und als Viktor nach Hauſe ging mit einem empor geſeufzeten Dank fuͤr dieſe Pfingſtſtunden, von denen jede der andern die Zuckerſtreubuͤchſe gab, um die engen Minuten ei¬ nes ſtillen Menſchen zu verſuͤßen; als er vorbeiging vor den gedaͤmpften Beichtliedern, die hier ein zwoͤlf¬ jaͤhriger Menſch, der morgen zum Abendmal ging, dort einer neben ſeiner Mutter ſang; und als end¬ lich ein verhauchtes Abendlied aus der Abtei, das gleichſam auf einem einzigen Lautenton fortſchwamm, den ſchoͤnen Tag mit einer Kadence zu Ende fuͤhrte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/152
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/152>, abgerufen am 22.11.2024.