"Die Geschichte ist der La Morgue-Platz*), wo "jeder die todten Verwandten seines Herzens sucht: "fragt die großen Todten aus Sparta, Athen und "Rom, was Freiheit ist? Ihre ewigen Festtage -- "ihre Spiele -- ihre ewigen Kriege -- ihre steten "Opfer des Vermögens und Lebens -- ihre Verach¬ "tung des Reichthums, des Handels und der Hand¬ "werker können den kameralistischen Landesflor nicht "zum Ziel der Freiheit machen. Aber der konse¬ quente Despot muß den sinnlichen Wohlstand seiner "Plantage betreiben. -- Der Druck und die Milde, "die Ungerechtigkeit und die Tugend eines Einzelnen "machen so wenig den Unterschied zwischen sklavi¬ "scher und freier Regierungsform aus, daß Rom "eine Sklavin war unter den Antoninen, und eine "Freie unter dem Sylla**). -- Nicht jeder Bund, "sondern der Zweck des Bundes, nicht das Vereini¬ "gen unter gemeinschaftliche Gesetze, sondern der In¬ "halt derselben geben der Seele die Flügel des Pa¬ "triotismus: denn sonst wäre jede Hansa, jeder Han¬
*) Ein vergitterter Platz in Paris, wo man die in der Nacht gefundnen Todten ausstellet, damit jeder Verwandter den seinigen aussuche.
**) Groß ist die Seele, die wie er unter lauter Feinden aller Gewalt entsagt -- größer ist das Volk, vor dem mans thun durfte. Ein anderes wäre den Läusen Syllas zuvorge¬ kommen.
»Die Geſchichte iſt der La Morgue-Platz*), wo »jeder die todten Verwandten ſeines Herzens ſucht: »fragt die großen Todten aus Sparta, Athen und »Rom, was Freiheit iſt? Ihre ewigen Feſttage — »ihre Spiele — ihre ewigen Kriege — ihre ſteten »Opfer des Vermoͤgens und Lebens — ihre Verach¬ »tung des Reichthums, des Handels und der Hand¬ »werker koͤnnen den kameraliſtiſchen Landesflor nicht »zum Ziel der Freiheit machen. Aber der konſe¬ quente Deſpot muß den ſinnlichen Wohlſtand ſeiner »Plantage betreiben. — Der Druck und die Milde, »die Ungerechtigkeit und die Tugend eines Einzelnen »machen ſo wenig den Unterſchied zwiſchen ſklavi¬ »ſcher und freier Regierungsform aus, daß Rom »eine Sklavin war unter den Antoninen, und eine »Freie unter dem Sylla**). — Nicht jeder Bund, »ſondern der Zweck des Bundes, nicht das Vereini¬ »gen unter gemeinſchaftliche Geſetze, ſondern der In¬ »halt derſelben geben der Seele die Fluͤgel des Pa¬ »triotismus: denn ſonſt waͤre jede Hanſa, jeder Han¬
*) Ein vergitterter Platz in Paris, wo man die in der Nacht gefundnen Todten ausſtellet, damit jeder Verwandter den ſeinigen ausſuche.
**) Groß iſt die Seele, die wie er unter lauter Feinden aller Gewalt entſagt — größer iſt das Volk, vor dem mans thun durfte. Ein anderes wäre den Läuſen Syllas zuvorge¬ kommen.
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»Die Geſchichte iſt der La Morgue-Platz *), wo
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»Rom, was Freiheit iſt? Ihre ewigen Feſttage —
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»werker koͤnnen den kameraliſtiſchen Landesflor nicht
»zum Ziel der Freiheit machen. Aber der konſe¬
quente Deſpot muß den ſinnlichen Wohlſtand ſeiner
»Plantage betreiben. — Der Druck und die Milde,
»die Ungerechtigkeit und die Tugend eines Einzelnen
»machen ſo wenig den Unterſchied zwiſchen ſklavi¬
»ſcher und freier Regierungsform aus, daß Rom
»eine Sklavin war unter den Antoninen, und eine
»Freie unter dem Sylla **). — Nicht jeder Bund,
»ſondern der Zweck des Bundes, nicht das Vereini¬
»gen unter gemeinſchaftliche Geſetze, ſondern der In¬
»halt derſelben geben der Seele die Fluͤgel des Pa¬
»triotismus: denn ſonſt waͤre jede Hanſa, jeder Han¬
*) Ein vergitterter Platz in Paris, wo man die in der Nacht
gefundnen Todten ausſtellet, damit jeder Verwandter den
ſeinigen ausſuche.
**) Groß iſt die Seele, die wie er unter lauter Feinden aller
Gewalt entſagt — größer iſt das Volk, vor dem mans thun
durfte. Ein anderes wäre den Läuſen Syllas zuvorge¬
kommen.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/104>, abgerufen am 23.11.2024.
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