"gehet zusammen! Ist denn das Leben so lang, daß "die Menschen zürnen dürfen, sind denn der guten "Seelen so viele, daß sie einander fliehen können? "O diese Töne zogen um viele Aschen-Leichen, um "manches erstarrte Herz voll Liebe, um manchen "geschlossenen Mund voll Grimm, o Vergängliche, "liebet, liebet euch!" -- Viktor ging willig (denn er weinte) dem Freunde nach und fand ihn am Bet¬ te stehen, worauf Eyman dessen Namens-F. in Kohlrabipflanzen grünen ließ: er schwieg, weil er wußte, daß zu allen sympathetischen Kuren ge¬ schwiegen werden muß. O eine solche schweigende Stunde, wo Freunde wie Fremdlinge neben einan¬ der stehen und mit dem Verstummen das alte Er¬ gießen vergleichen, hat zu viele Herzensstiche und tausend erdrückte Thränen und statt der Worte die Seufzer!
Viktor so nahe am Freund wollte, da unter dem Geläute seine schönere Seele wie Nachtigallen unter Konzerten, immer lauter wurde, von Minute zu Minute an dieses schöne edle Gesicht, an diese zum Versöhnungskuß geründeten Lippen fallen -- aber er erschrack vor der neulichen Abstossung. Er sah jetzt, wie Flamin ins Bett immer weiter trat und die Herzblätter der Kohlrabi langsam umtrat und auseinander quetschte: endlich merkte er, dieses Zerknirschen des grünenden Namens sey blos die
»gehet zuſammen! Iſt denn das Leben ſo lang, daß »die Menſchen zuͤrnen duͤrfen, ſind denn der guten »Seelen ſo viele, daß ſie einander fliehen koͤnnen? »O dieſe Toͤne zogen um viele Aſchen-Leichen, um »manches erſtarrte Herz voll Liebe, um manchen »geſchloſſenen Mund voll Grimm, o Vergaͤngliche, »liebet, liebet euch!» — Viktor ging willig (denn er weinte) dem Freunde nach und fand ihn am Bet¬ te ſtehen, worauf Eyman deſſen Namens-F. in Kohlrabipflanzen gruͤnen ließ: er ſchwieg, weil er wußte, daß zu allen ſympathetiſchen Kuren ge¬ ſchwiegen werden muß. O eine ſolche ſchweigende Stunde, wo Freunde wie Fremdlinge neben einan¬ der ſtehen und mit dem Verſtummen das alte Er¬ gießen vergleichen, hat zu viele Herzensſtiche und tauſend erdruͤckte Thraͤnen und ſtatt der Worte die Seufzer!
Viktor ſo nahe am Freund wollte, da unter dem Gelaͤute ſeine ſchoͤnere Seele wie Nachtigallen unter Konzerten, immer lauter wurde, von Minute zu Minute an dieſes ſchoͤne edle Geſicht, an dieſe zum Verſoͤhnungskuß geruͤndeten Lippen fallen — aber er erſchrack vor der neulichen Abſtoſſung. Er ſah jetzt, wie Flamin ins Bett immer weiter trat und die Herzblaͤtter der Kohlrabi langſam umtrat und auseinander quetſchte: endlich merkte er, dieſes Zerknirſchen des gruͤnenden Namens ſey blos die
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»gehet zuſammen! Iſt denn das Leben ſo lang, daß
»die Menſchen zuͤrnen duͤrfen, ſind denn der guten
»Seelen ſo viele, daß ſie einander fliehen koͤnnen?
»O dieſe Toͤne zogen um viele Aſchen-Leichen, um
»manches erſtarrte Herz voll Liebe, um manchen
»geſchloſſenen Mund voll Grimm, o Vergaͤngliche,
»liebet, liebet euch!» — Viktor ging willig (denn
er weinte) dem Freunde nach und fand ihn am Bet¬
te ſtehen, worauf Eyman deſſen Namens-F. in
Kohlrabipflanzen gruͤnen ließ: er ſchwieg, weil er
wußte, daß zu allen ſympathetiſchen Kuren ge¬
ſchwiegen werden muß. O eine ſolche ſchweigende
Stunde, wo Freunde wie Fremdlinge neben einan¬
der ſtehen und mit dem Verſtummen das alte Er¬
gießen vergleichen, hat zu viele Herzensſtiche und
tauſend erdruͤckte Thraͤnen und ſtatt der Worte die
Seufzer!
Viktor ſo nahe am Freund wollte, da unter
dem Gelaͤute ſeine ſchoͤnere Seele wie Nachtigallen
unter Konzerten, immer lauter wurde, von Minute
zu Minute an dieſes ſchoͤne edle Geſicht, an dieſe
zum Verſoͤhnungskuß geruͤndeten Lippen fallen —
aber er erſchrack vor der neulichen Abſtoſſung. Er
ſah jetzt, wie Flamin ins Bett immer weiter trat
und die Herzblaͤtter der Kohlrabi langſam umtrat
und auseinander quetſchte: endlich merkte er, dieſes
Zerknirſchen des gruͤnenden Namens ſey blos die
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/100>, abgerufen am 23.11.2024.
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