Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmü¬
thig angelächelt, fühlte, daß er bisher zu lustig ge¬
wesen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit
liebenden schimmernden Augen anblicken, diese noch
schimmernder wegwenden und nichts sagen und hin¬
ausgehen. Ueber seinem Herzen und über allen sei¬
nen Noten stand tremolando. Niemand wird tiefer
traurig als wer immer lächelt: denn hört einmal die¬
ses Lächeln auf, so hat alles über die zergangne
Seele Gewalt und ein sinnloser Wiegengesang, ein
Flötenkonzert -- dessen Diß- und Fißklappen und
Ansätze bloß zwei Lippen sind. -- Reisset die alten
Thränen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬
vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum
gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: sie schien
ihm zu heilig und noch immer von geflügelten Kin¬
dern geführt und auf Eisthronen gestellt. Da er
überhaupt für Le Bauts Gespräche im Reiche der
Moralisch-Todten heute keine Zunge und Ohren
hatte: so wollt' er im großen laubenvollen Garten
dem Stamizischen Konzert inkognito zuhören und
sich höchstens vom Zufall präsentiren lassen. Sein
zweiter Grund war sein zum Resonanzboden der Mu¬
sik geschaffnes Herz, das gern die eilenden Töne ohne
Stöhrung aufsog und das die Wirkungen derselben
gern den gewöhnlichen Weltmenschen verbarg, die
Göthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig

der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmuͤ¬
thig angelaͤchelt, fuͤhlte, daß er bisher zu luſtig ge¬
weſen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit
liebenden ſchimmernden Augen anblicken, dieſe noch
ſchimmernder wegwenden und nichts ſagen und hin¬
ausgehen. Ueber ſeinem Herzen und uͤber allen ſei¬
nen Noten ſtand tremolando. Niemand wird tiefer
traurig als wer immer laͤchelt: denn hoͤrt einmal die¬
ſes Laͤcheln auf, ſo hat alles uͤber die zergangne
Seele Gewalt und ein ſinnloſer Wiegengeſang, ein
Floͤtenkonzert — deſſen Diß- und Fißklappen und
Anſaͤtze bloß zwei Lippen ſind. — Reiſſet die alten
Thraͤnen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬
vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum
gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: ſie ſchien
ihm zu heilig und noch immer von gefluͤgelten Kin¬
dern gefuͤhrt und auf Eisthronen geſtellt. Da er
uͤberhaupt fuͤr Le Bauts Geſpraͤche im Reiche der
Moraliſch-Todten heute keine Zunge und Ohren
hatte: ſo wollt' er im großen laubenvollen Garten
dem Stamiziſchen Konzert inkognito zuhoͤren und
ſich hoͤchſtens vom Zufall praͤſentiren laſſen. Sein
zweiter Grund war ſein zum Reſonanzboden der Mu¬
ſik geſchaffnes Herz, das gern die eilenden Toͤne ohne
Stoͤhrung aufſog und das die Wirkungen derſelben
gern den gewoͤhnlichen Weltmenſchen verbarg, die
Goͤthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0092" n="82"/>
der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmu&#x0364;¬<lb/>
thig angela&#x0364;chelt, fu&#x0364;hlte, daß er bisher zu lu&#x017F;tig ge¬<lb/>
we&#x017F;en. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit<lb/>
liebenden &#x017F;chimmernden Augen anblicken, die&#x017F;e noch<lb/>
&#x017F;chimmernder wegwenden und nichts &#x017F;agen und hin¬<lb/>
ausgehen. Ueber &#x017F;einem Herzen und u&#x0364;ber allen &#x017F;ei¬<lb/>
nen Noten &#x017F;tand <hi rendition="#aq">tremolando</hi>. Niemand wird tiefer<lb/>
traurig als wer immer la&#x0364;chelt: denn ho&#x0364;rt einmal die¬<lb/>
&#x017F;es La&#x0364;cheln auf, &#x017F;o hat alles u&#x0364;ber die zergangne<lb/>
Seele Gewalt und ein &#x017F;innlo&#x017F;er Wiegenge&#x017F;ang, ein<lb/>
Flo&#x0364;tenkonzert &#x2014; de&#x017F;&#x017F;en Diß- und Fißklappen und<lb/>
An&#x017F;a&#x0364;tze bloß zwei Lippen &#x017F;ind. &#x2014; Rei&#x017F;&#x017F;et die alten<lb/>
Thra&#x0364;nen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬<lb/>
vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum<lb/>
gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: &#x017F;ie &#x017F;chien<lb/>
ihm zu heilig und noch immer von geflu&#x0364;gelten Kin¬<lb/>
dern gefu&#x0364;hrt und auf Eisthronen ge&#x017F;tellt. Da er<lb/>
u&#x0364;berhaupt fu&#x0364;r Le Bauts Ge&#x017F;pra&#x0364;che im Reiche der<lb/>
Morali&#x017F;ch-Todten heute keine Zunge und Ohren<lb/>
hatte: &#x017F;o wollt' er im großen laubenvollen Garten<lb/>
dem Stamizi&#x017F;chen Konzert inkognito zuho&#x0364;ren und<lb/>
&#x017F;ich ho&#x0364;ch&#x017F;tens vom Zufall pra&#x0364;&#x017F;entiren la&#x017F;&#x017F;en. Sein<lb/>
zweiter Grund war &#x017F;ein zum Re&#x017F;onanzboden der Mu¬<lb/>
&#x017F;ik ge&#x017F;chaffnes Herz, das gern die eilenden To&#x0364;ne ohne<lb/>
Sto&#x0364;hrung auf&#x017F;og und das die Wirkungen der&#x017F;elben<lb/>
gern den gewo&#x0364;hnlichen Weltmen&#x017F;chen verbarg, die<lb/>
Go&#x0364;the's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0092] der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmuͤ¬ thig angelaͤchelt, fuͤhlte, daß er bisher zu luſtig ge¬ weſen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit liebenden ſchimmernden Augen anblicken, dieſe noch ſchimmernder wegwenden und nichts ſagen und hin¬ ausgehen. Ueber ſeinem Herzen und uͤber allen ſei¬ nen Noten ſtand tremolando. Niemand wird tiefer traurig als wer immer laͤchelt: denn hoͤrt einmal die¬ ſes Laͤcheln auf, ſo hat alles uͤber die zergangne Seele Gewalt und ein ſinnloſer Wiegengeſang, ein Floͤtenkonzert — deſſen Diß- und Fißklappen und Anſaͤtze bloß zwei Lippen ſind. — Reiſſet die alten Thraͤnen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬ vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: ſie ſchien ihm zu heilig und noch immer von gefluͤgelten Kin¬ dern gefuͤhrt und auf Eisthronen geſtellt. Da er uͤberhaupt fuͤr Le Bauts Geſpraͤche im Reiche der Moraliſch-Todten heute keine Zunge und Ohren hatte: ſo wollt' er im großen laubenvollen Garten dem Stamiziſchen Konzert inkognito zuhoͤren und ſich hoͤchſtens vom Zufall praͤſentiren laſſen. Sein zweiter Grund war ſein zum Reſonanzboden der Mu¬ ſik geſchaffnes Herz, das gern die eilenden Toͤne ohne Stoͤhrung aufſog und das die Wirkungen derſelben gern den gewoͤhnlichen Weltmenſchen verbarg, die Goͤthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/92
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/92>, abgerufen am 21.11.2024.