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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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arbeitet, sondern auch (aber in einem schlimmern
Sinn als die Jungen) für einen dritten Sinn, und
mit dem wenigen Wind, den er aus den Orgel-Lun¬
genflügeln und aus seinen eignen holt, ein solcher
stampfender Mann ist, sag ich, im Stande mit so aus¬
serordentlich wenigen musikalischen Gerumpel doch
ein viel lauteres Donnern und Kolofoniums-Blitzen
um den Kanzel-Sinai, ich meine eine weit heftigere
und mißtönendere, deren Kirchenmusik aus seinem Chor
herauszumachen als manche viel besser unterstützte
Theater-Orchester und Kapellen, mit deren Wollau¬
ten man so oft Tempel entweiht. Daher thut es
nachher einem solchen lauten Manne weh, wenn man
sein Kirchen-Gekratze und Geknarre verkennt und
falsch beurtheilt. Soll sich denn in alle unsre Pro¬
vinzialkirchen das weiche leise Herrnhutische Tönen
einschleichen? -- Es giebt aber zum Glück noch
Stadtkantors, die dagegen arbeiten und die wissen
worin reiner Chor und Mißton sich vom Kammer¬
ton zu unterscheiden hat.

Den Lesern nicht, aber Organisten kann ich zu¬
muthen, daß sie wissen, warum bloße Dissonanzen
-- Konsonanzen sind nur unter dem Stimmen der
Instrumente zu ertragen -- aufs Chor gehören.
Dissonanzen sind nach Euler und Sulzer Ton-Ver¬
hältniße die in großen Zahlen ausgedrückt werden;
sie mißfallen uns also, nicht wegen ihres Mißver¬

arbeitet, ſondern auch (aber in einem ſchlimmern
Sinn als die Jungen) fuͤr einen dritten Sinn, und
mit dem wenigen Wind, den er aus den Orgel-Lun¬
genfluͤgeln und aus ſeinen eignen holt, ein ſolcher
ſtampfender Mann iſt, ſag ich, im Stande mit ſo auſ¬
ſerordentlich wenigen muſikaliſchen Gerumpel doch
ein viel lauteres Donnern und Kolofoniums-Blitzen
um den Kanzel-Sinai, ich meine eine weit heftigere
und mißtoͤnendere, deren Kirchenmuſik aus ſeinem Chor
herauszumachen als manche viel beſſer unterſtuͤtzte
Theater-Orcheſter und Kapellen, mit deren Wollau¬
ten man ſo oft Tempel entweiht. Daher thut es
nachher einem ſolchen lauten Manne weh, wenn man
ſein Kirchen-Gekratze und Geknarre verkennt und
falſch beurtheilt. Soll ſich denn in alle unſre Pro¬
vinzialkirchen das weiche leiſe Herrnhutiſche Toͤnen
einſchleichen? — Es giebt aber zum Gluͤck noch
Stadtkantors, die dagegen arbeiten und die wiſſen
worin reiner Chor und Mißton ſich vom Kammer¬
ton zu unterſcheiden hat.

Den Leſern nicht, aber Organiſten kann ich zu¬
muthen, daß ſie wiſſen, warum bloße Diſſonanzen
— Konſonanzen ſind nur unter dem Stimmen der
Inſtrumente zu ertragen — aufs Chor gehoͤren.
Diſſonanzen ſind nach Euler und Sulzer Ton-Ver¬
haͤltniße die in großen Zahlen ausgedruͤckt werden;
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[79/0089] arbeitet, ſondern auch (aber in einem ſchlimmern Sinn als die Jungen) fuͤr einen dritten Sinn, und mit dem wenigen Wind, den er aus den Orgel-Lun¬ genfluͤgeln und aus ſeinen eignen holt, ein ſolcher ſtampfender Mann iſt, ſag ich, im Stande mit ſo auſ¬ ſerordentlich wenigen muſikaliſchen Gerumpel doch ein viel lauteres Donnern und Kolofoniums-Blitzen um den Kanzel-Sinai, ich meine eine weit heftigere und mißtoͤnendere, deren Kirchenmuſik aus ſeinem Chor herauszumachen als manche viel beſſer unterſtuͤtzte Theater-Orcheſter und Kapellen, mit deren Wollau¬ ten man ſo oft Tempel entweiht. Daher thut es nachher einem ſolchen lauten Manne weh, wenn man ſein Kirchen-Gekratze und Geknarre verkennt und falſch beurtheilt. Soll ſich denn in alle unſre Pro¬ vinzialkirchen das weiche leiſe Herrnhutiſche Toͤnen einſchleichen? — Es giebt aber zum Gluͤck noch Stadtkantors, die dagegen arbeiten und die wiſſen worin reiner Chor und Mißton ſich vom Kammer¬ ton zu unterſcheiden hat. Den Leſern nicht, aber Organiſten kann ich zu¬ muthen, daß ſie wiſſen, warum bloße Diſſonanzen — Konſonanzen ſind nur unter dem Stimmen der Inſtrumente zu ertragen — aufs Chor gehoͤren. Diſſonanzen ſind nach Euler und Sulzer Ton-Ver¬ haͤltniße die in großen Zahlen ausgedruͤckt werden; ſie mißfallen uns alſo, nicht wegen ihres Mißver¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/89>, abgerufen am 21.11.2024.